Der Sound der Neuen Rechten: Neofolk und die Identitäre Bewegung
© Ivan Radic
Von Fabian Peltsch und Ralf Niemczyk – eine Reportage aus dem ROLLING-STONE-Archiv 2017
Ganz am Ende der Leipziger Straßenbahnlinie 3, Endhaltestelle Knautkleeberg, sieht es schon schwer nach karger sächsischer Countryside aus. Nach rund einem Kilometer Fußmarsch erreicht man den Schlosspark Knauthain, einen mehrfach umgebauten Herrensitz aus dem Jahre 1703, der heute eine Softwarefirma beherbergt und vor dem teure Sportwagen parken. Mittelalterliche Feuerpfannen weisen in der Dämmerung den Weg zum Gelände. Auf einer von Mauern umfriedeten Wiese steigt das Festival-Fire & Sun, neben dem Runes & Men eines der zentralen Treffen des sogenannten Neofolk. Die obskure Nische der Gothic-Szene existiert bereits seit den Achtzigern, ein kontroverses Schattengewächs, das sich inhaltlich zwischen romantischer Naturbetrachtung, schwarzer Esoterik und soldatischem Fascho-Fetischismus bewegt.
HJ-Undercuts und Runenanstecker
Die Bands heißen Traum’er Leben, Of The Wand & The Moon, Stein und Jännerwein. Eine Abendkasse gibt es nicht. Tickets mussten Wochen vorher auf dem Postweg angefordert werden. Es herrscht eine familiäre, fast schon bedächtige Atmosphäre. Vielleicht 200 Besucher, davon ein knappes Drittel Frauen. Ein flottes Viererclübchen gar im Cocktaildress mit Bleistiftröcken und High Heels. Vereinzelt -Kinder. Hinter der winzigen, in der Mitte des Areals platzierten Bühne hilft ein junger Vater seinem etwa 12‑jährigen Sohn beim Schnüren der Springerstiefel. Schmissige Burschenschaftler in weißem Hemd mit Hosenträgern tummeln sich davor. Wenige in Mittelalterkluft. HJ-Undercuts, ausgestellte Bretsches-Hosen, Flecktarn-Versatzstücke, mal NVA, mal Austria-Bundesheer. An manchem Uniformhemd prangt ein Runenanstecker oder das stilisierte Sonnenrad, das bei Neuheidnischen, Neofolkern oder Black-Metallern gleichermaßen verwendet wird. Schwer bedeutungsschwanger: Der ehemalige Obergruppenführersaal des SS-Schulungszentrum Wewelsburg in Ostwestfalen trägt dieses Zeichen als Bodenornament. Als ein kurzer Regenschauer einsetzt, klappen überall schwarze Schirme auf. Zwei kräftige Glatzköpfe teilen sich unter einem Baum eine Zigarette, während sich eine Dame in SM-Korsage auf der Suche nach einem trockenen Flecken hektisch die Stola über den Kopf wirft. Ein irrer Mix, der an die Burgparty der Hitler-Tagebücher-Filmsatire „Schtonk“ erinnert. Konspiratives Treffen eines gefährlich-rechten Untergrunds oder eher Reichsparteitags-Cosplay?
Akkurate Haltung, grimmiger Blick
Vom Getränkewagen führt der rotbärtige Kellner mit dem hippen Fahrradkäppi eine kurze Debatte über sein Dasein als Agnostiker. Am Bratwurststand gibt es auch Halloumi. Hinten im Eck sind die mobilen Toiletten strictly öko; moderne Plumpsklos mit Sägespänen statt Chemiebrühe und Plastik. T‑Shirt-Aufschriften feiern die Düsseldorfer Old-School-Industrial-Crew Die Krupps („Wahre Arbeit – wahrer Lohn“), die Neofolk-Urband Death In June oder die bizarre Gruftie-Coverband Death In Rome – wahlweise mit Marilyn-Monroe-Toten-kopf oder mit einem altrömischen Liktorenbündel-Logo. Zwischen all diesen Bekenntnisshirt-Trägern und Trachten-Cosplayern steht in der dritten Reihe vor der Bühne Götz Kubitschek mit seiner Frau, Ellen Kositza. Schwarzes Hemd, braune Drillichhose. Akkurate Haltung, grimmiger Blick. Ein Alphamann auf dem bunten Schlossanger. „Eine bewusste Anspielung auf die faschistischen Bewegungen im Europa der 20er- und 30er–Jahre“ nannte der AfD-Mitbegründer Bernd Lucke einmal in einer internen E‑Mail an seine Parteikollegen Kubitscheks Auftreten. Mit der Warnung, so einen auf keinen Fall in die AfD aufzunehmen. Das war Anfang 2015. Über ein Jahr später gilt der ehemalige, wegen seiner politischen Aktivitäten entlassene Bundeswehrleutnant mehr denn je als die Zentralfigur einer Neuen Rechten, die Deutschland mit völkisch-antidemokratischen Zwischentönen noch ganzheitlicher umkrempeln will, als die AfD es unter dem geschassten Lucke vorhatte.
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Während das Publikum die Dark-Folker Traum’er Leben aus Hannover teilnahmslos vorüberziehen ließ, kommt bei Jännerwein zum ersten Mal so etwas wie Spannung auf. Das Quintett aus Salzburg verwendet ein Metrum, das penibel auf Nicht-Blues und somit auch auf Nicht-Rock’n’Roll getrimmt ist. „Spannungslose Harmonik“ hat man dazu im Impressionismus gesagt. Das mehrstimmige Volkslied oder jene Eigenbau-Genrekonstruktion „Alpin Folk“ stehen Pate. Auf ihrem letzten Album, „Eine Hoffnung“, interpretieren Jännerwein mit Gepauke und Sackpfeife das Gedicht „An den Mond“ von Johann Wolfgang von Goethe. Zur akustischen Gitarre dann Gedankenspiele aus der chinesischen Philosophie. Textlich steigt bei Jännerweins Knauthain-Gig gefühlt alle zehn Minuten ein schwerer Nebel über irgendeinem dunklen Wald empor („Siehst du nicht die Tannen/ Wie sie trotzig aufrecht stehen?“). Auch Freundschaft, Wein und Wandern sind angesagt, in „Hallen aus Marmor und Licht“. Ein aus der Zeit gefallener Liederabend, irgendwo zwischen Fackelappell und Weihnachtssingen. Kubitschek und Kositza lauschen. Strenge Miene zum andächtigen Spiel.
Strategiearbeit statt Baseballschläger
Die Eheleute leben eine gute Stunde von Leipzig entfernt auf einem Rittergut im Dörfchen Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Dort sitzen Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“, eine Gedanken- und Kader-schmiede für die Neue Rechte, und sein Verlag Antaios, in dem Bücher über „Ausländergewalt“, die Schlacht von Verdun und den „Weg der Männer“ erscheinen; dazu die in rechten Kreisen weithin gelesene Zeitschrift „Sezession“. Ihr Haus, ein parallelgesellschaftliches Vorzeigeidyll. Sieben Kinder, selbst geschöpfter Käse. Gegenseitiges Siezen wie in der guten alten Zeit. Der Lebensstil mag strictly antimodern sein, dennoch ist der Rechtsdenker aus Ravensburg stark an der Jugend interessiert. In seinem Rittergut finden Seminare statt, bei denen sich Nachwuchsaktivisten Greenpeace-artigen Schwung und ehedem linke Kommunikationsguerilla-Taktiken draufschaffen können. Strategiearbeit statt Baseballschläger.
Neuerdings taucht Kubitscheks -Name verstärkt im Zusammenhang mit der Identitären Bewegung auf. Die um 2011 in Frankreich entstandene paneuropäische Gruppierung will völkisches Gedankengut zeitgemäß und cool inszenieren. Eine Entwicklung, mit der die politische Rechte auf „Jugendbewegungsmodus“ schaltet, sagt Extremismusforscher Alexander Häusler. Der Verfassungsschutz ist alarmiert.
Der Verfassungsschutz ist alarmiert
Wenn man genau hinsieht, findet man die „IBster“, wie sie sich halb ironisch nennen, auch zwischen Bierstand, Bühne und Merch-Zelt des Leipziger Neofolk-Treffens. -Eine kleine Gruppe junger Männer, die zwischen den schwarz herausgeputzten Szenemenschen vor allem durch ihre Normalokleidung auffällt. Sie tragen zeitgemäß designte Vektorgrafik-T‑Shirts von „Phalanx Europa“, der identitären Hausmarke, die auf ihrer Webseite T‑Shirts mit Ernst-Jünger- und „NietzChe“-Aufdruck, aber auch Poster mit kämpferischen Zitaten von Martin Heidegger oder Samuel Huntington vertreibt. Ein etwas schüchtern wirkender, spindeldürrer junger Mann mit langen Haaren und Undercut, der ein bisschen wie die blonde Version von Skrillex aussieht, sitzt abseits neben seinem übergewichtigen Kumpel, der mit dem nass gegelten Deckhaarlappen wiederum an den YouTube-Star Hans Entertainment erinnert. Auf dem „Phalanx“-Hemd des Langhaarigen prangt das sakrale Bildnis des österreichischen Landespatrons Leo-pold III., der das Lambda-Symbol, das Erkennungszeichen der Identitären, wie einen Reichsapfel vor die Brust drückt. Darüber steht in mittelalterlicher Minuskelschrift: „Restore Europe. Remove Kebab“.
Auf ihren zahlreichen Instagram- und Facebook-Accounts inszenieren sich die Identitären mal als Kämpfer im Kraftraum, mal als Vorzeigeschwiegersöhne oder Pfefferspray verteilende Ehrenretter deutscher Frauen – deren Rolle man am besten unter dem Hashtag #identitariangirls erkunden kann. Oder gleich auf dem Instagram-Account von Vorzeigemädel Alina von Rauheneck, die eigentlich Wychera heißt und sich mal als sexy Aktivistin und mal als Baby schaukelnde Maria auf heimischer Scholle inszeniert. Böse Welt trifft heile Welt, die Rollen sind klar verteilt. Identität bedeutet für die junge Bewegung vor allem Heimatliebe und Patriotismus. Unter dem Schlagwort „Ethnopluralismus“ soll die „ethnische Kontinuität“ Europas gegen Migrantenströme verteidigt werden. Andernfalls drohe der „große Austausch“, -eine vom französischen -Autor Renaud Camus geprägte Prophezeiung des Untergangs des Abendlandes.
„Warum ich keinen Kebab esse“
Lange galt die Identitäre Bewegung lediglich als Internetphänomen. Noch im Februar 2013 schrieb Kubitschek in einer recht mäkelig-väterlichen Anleitung auf „Sezession“, dass die Bewegung zum Scheitern verurteilt sei, wenn sich nicht bald ein Gesicht und ein „Zentrum der eigenen Idee“ finde.
Im Zuge eines europaweit feststellbaren Rechtsrucks scheint die Bewegung dieses Zentrum nun in Wien gefunden zu haben, und mit dem 27-jährigen Martin Sellner auch ein Gesicht. Der streng gescheitelte Student der Philosophie und Rechtswissenschaften, der für einige Wochen auf Kubi-tscheks Gutshof wohnte, beackert in seinem Videoblog und in Texten für „Sezession“ so unterschiedliche Themen wie „Heideggers widerständiges Denken“, „Genderwahn“ oder „Warum ich keinen Kebab esse“. Bei medienwirksamen Aktionen wie der Kunstblutattacke auf Elfriede Jelineks Flüchtlingsstück „Die Schutzbefohlenen“ oder Demonstrationen in Österreich und Deutschland agitiert er an vorderster Front.
Sellner ist ein jovialer, etwas eitler Kumpeltyp, der die Kamera liebt. Auch dem ROLLING STONE gibt er bereitwillig Auskunft. „Kennst du den Song von Tocotronic ‚Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein‘?“, beginnt er grinsend das Skype-Gespräch. Popkultur sei ein wichtiges Element in der Bewegung, sagt der Wiener, der offen zugibt, bis vor sieben Jahren noch ein waschechter Nazi und Fan einschlägiger Rechtsrockbands wie Landser gewesen zu sein. „Ich war mehrere Jahre in dieser Szene und fand, dass da eine Verzweiflung vorherrscht, mit vielen depressiven, bitteren Menschen, was sich auch in der Musik und dem Lebensgefühl widerspiegelt.“ Eine Nazivergangenheit traut man dem immerzu verschmitzt lächelnden Dreitagebart-Träger kaum zu.
Altrechte Zuckungen
Heute schwärmt Sellner auf Identitaere-Generation.info, dem wichtigsten deutschsprachigen Infoportal der Szene, vom „traurigen europäischen Geist“ Marco Wanda, dessen Band leider auch „im Mainstream der linken Kulturschickeria“ mitschwimme. Immer wieder betont er im Interview, dass seine Identitären für jede Musik offen sind, vom patrio-tischen Deutschrock von Frei.Wild bis zum angesagtem Cloud-Rap von Yung Hurn. Unter seine Videos schneidet Sellner auch gern Songs linker Bands wie Egotronic oder 4-to-the-floor-Techno, was in der heimatverbundenen Szene schon mal für Grundsatzdiskussionen sorgt. „Diese Discomusik: Ist das nicht erst recht wieder eine Anbiederung an diesen Einheitsbrei, all das Pseudomoderne, das doch in Wirklichkeit die Menschen in den letzten Jahrzehnten entwurzelt hat?“, schreibt Nutzer Quovadis unter ein basslastiges Promovideo der Identitären Bewegung. „Solche Stimmen sind auf YouTube und Facebook viel vertreten, für unsere Bewegung aber nicht repräsentativ“, sagt Sellner. „Das sind altrechte Zuckungen. Die jungen Leute, die zu unseren Demos kommen sind viel bunter, viel entspannter – ein gut aufgelegter Haufen.“
Um nicht zu beliebig zu werden und wohl auch um ein von Kubitschek als essenziell bezeichnetes „Szenegefühl“ heraufzubeschwören, feiern die jugendbewegten Rechten auf ihrer Webseite euphorisch den Neofolk. Auf die pompöse Akustikmusik können sich alle Kernmitglieder der deutschsprachigen Identitären einigen; Internetvideos zeigen die österreichische Landesgruppe um Sellner und Wychera bei feierlichen Liederabenden, feuchte Augen zu Kerzenlicht und Wein. Neofolk sei „das Holz, das das flammende Herz eines Aktivisten am Lodern hält“, schreiben sie in einer Jännerwein-Rezension.
Holocaust als „Gothic Novel“
Die Wurzeln der düsteren Neofolk-Subkultur gehen auf Industrialbands wie Throbbing Gristle und Current 93 zurück, die eine oftmals geradezu pubertäre Lust an verstörenden und provokativen Themen pflegten: Satanismus, Sadomaso, Wahnsinn, Genozid. David Tibet, der belesene Kopf von Current 93, wandte sich Mitte der Achtziger einer dunkelromantischen Akustikmusik zu, die von Fans „Apocalyptic Folk“ getauft wurde und der Ausformung des Neofolk den entscheidenden Impuls gab. Die andere große Band der Ursuppe ist Death In -June, deren Alben „Brown Book“ und „But What Ends When The Symbols Shatter?“ als Genreklassiker gelten, von Mollakkorden, rollenden Marschtrommeln und Männergesang getragene Ritte in den Untergang. Die englische Band um den offen homosexuellen Douglas Pearce provozierte früh mit faschistischer Ästhetik, Siegrunen, SS‑Totenkopf-Design. Mal werden ein paar Takte des Horst-Wessel-Lieds gesampelt, mal huldvolle Verweise auf den schreibenden Sträfling und späten RAF-Bewunderer Jean Genet gedroppt. Death In June stilisiere Holocaust und Nazizeit zu einer sexuell konnotierten „Gothic Novel“, attestierte der Popkritiker Martin Büsser, der sich bis zu seinem Tod 2010 immer wieder intensiv mit dem Phänomen beschäftigt hatte.
Die uncoolste Musik des Planeten
Sicher auch wegen starker Anfeindung aus dem linken Lager schlugen viele Neofolk-Bands aus dem deutschen Raum politisch weniger verfängliche Pfade ein. Gruppen wie Forseti, Orplid und Darkwood suchten die innere Emigration in Natur-, Literatur- und Mythologiethemen, was sich in altertümlichem Deutsch und kitschigen Versen niederschlug. Wer sich schon immer gefragt hat, was eigentlich das Gegenteil von Funk ist, oder auf einer Party damit angeben möchte, die uncoolste Musik des Planeten entdeckt zu haben: Bei Neofolk wird er fündig.
Fast allen Bands gemein sind ein verklärter Antimodernismus und die unausgesprochene Frage, wie Folkmusik klänge, hätte es die US-amerikanische Popgeschichte nie gegeben. Sehnsuchtsort ist ein „geheimes Europa“, das irgendwo zwischen Hölderlins romantisch-beseelten Auen und den Kraft-durch-Freude-Gemeinschaften der 30er-Jahre verortet ist. Ähnlich wie die Identitäre Bewegung zwischen neurechten Strömungen eine Art Scharnierfunktion herzustellen vermag, verbindet Neofolk Hörer unterschiedlicher Subkulturen wie Industrial, Gothic, Black Metal oder Dark Ambient. Das Genre ist auch ein Sammelbecken für Nerds und Sonderlinge, die sich auf der Suche nach der eigenen Identität zum Erstbesten hingezogen fühlen, was in Schulbüchern als „deutsch“ angeboten wird und gleichzeitig weltweit Schauer auslöst: Die faszinierend böse Ästhetik der Faschisten. Neofolk ist insgesamt jedoch eher an der spinnerten neuheidnischen Esoterik eines Heinrich Himmler als an NS-Realpolitik interessiert. Als politisch rechts oder überhaupt als politisch dürften sich die wenigsten dieser Nischenszene begreifen.
Soundtrack eines rechten Gefühls
Für die Identitäre Bewegung, die wie die meisten neurechten Ideologien keine nationalsozialistischen Dogmen, sondern einen rechtskonservativen Weg in die Mitte der Gesellschaft verfolgt, bietet das Genre dennoch eine ideale Andockstation. Gerade weil es so nebulös und vieldeutig lesbar ist. „Für mich ist Neofolk eine Musik, die von Anfang an eine rechte Alternative darstellte. Es ist kein Wunder, dass bei den Identitären Neofolk extrem beliebt ist“, sagt Sellner, der als Jugendlicher auch mal in einer Black-Metal-Band spielte. Für den neurechten Missionar fungiert die getragene Musik weniger als Träger politischer Botschaften denn als Lieferant einer weit darüber hinausreichenden emotionalen Grundierung, als Soundtrack eines rechten Gefühls.
Als identitärer Neofolk-Fan kann man sich von einer „altrechten“, plump rechtsextremen Subkultur distanzieren (wie viele Neofolk-Protagonisten es selbst seit Jahren tun) und dennoch viele Kerngedanken beibehalten: Patriotismus, Tradition, Antimoderne und eine Stammessehnsucht, jenem „Tribalismus“ nicht unähnlich, den die Identitären den islamischen Kulturen unterstellen. In der Heldenverehrung konservativer Ideologen finden Identitäre und Neofolker ebenfalls den Schulterschluss. Der Käfer sammelnde Kriegs-euphoriker Ernst Jünger, der kaisertreue Selbstmörder Yukio Mishima, der biologistisch motivierte Kulturpessimist Julius Evola oder der Kulturhistoriker Oswald Spengler, der bereits 1918 die Angst vorm „Untergang des Abendlandes“ schürte: Ihnen allen begegnet man in den Songs der bekanntesten Neofolk-Bands, aber auch auf den T‑Shirts und Postern von „Phalanx Europa“. Den Balanceakt zwischen Provokation und Indizierung haben die Identitären auch vom sogenannten Neofolk gelernt.
Von Thronstahl oder Kreuzweg Ost
Die schwülstige Unplugged-Musik mag jedoch nicht recht zum aufgeräumten Hipster-Image der Bewegung passen. Auf der betont modern designten Web-seite der „Phalanx Europa“ stößt man unter „Musik“ auf CDs martialischer Bands wie Von Thronstahl oder Kreuzweg Ost, die kriegslüstern und eben doch einigermaßen depressiv daherkommen. Zeigt sich hier das wahre Gesicht der nur vordergründig vorzeigbaren IBster? „Neofolk hat einen melancho-lischen, martialischen Touch, das stimmt“, antwortet Sellner, auf den wenig mehrheitsfähigen Charakter der Musik angesprochen. „Ich finde diese Stimmung aber auch gerechtfertigt, wenn man sich anschaut, was heute so alles in der Welt passiert mit unserer Kultur, unserer Identität und unserer Tradition.“
Martin Lichtmesz, neben Götz Kubitschek ein anderer wichtiger Ideengeber der Neuen Rechten und selbst langjähriger Neofolk-Szenegänger umschreibt das Lebensgefühl des Neofolk in seinem Aufsatz „Vom Rüschenhemd zur Uniform“ als „Negation, Trauer und Unbehagen in der Kultur“, wobei die Musik über „Flirts mit ‚faschistischer‘ Ikonographie natürlich auch einen spezifisch völkerpsychologischen Nerv“ treffe. Leider seien seine große Zeit und die Möglichkeit einer aus Neofolk erwachsenden „rechten Bewegung“ nicht zuletzt durch den Druck von links gescheitert, bedauert der ebenfalls in Wien lebende Lichtmesz in seiner bereits 2010 veröffentlichten Bestandsaufnahme. Sein 13 Jahre jüngerer Freund Martin Sellner sieht das aus heutiger Perspektive optimistischer. „Ich glaube, dass unsere Bewegung Musik wie Neofolk und Autoren wie Jünger und Mishima enorm popularisiert hat. Was bisher Nischenphänomene waren, wird durch unsere politischen Aktionen wieder präsent.“
Den völkerpsychologischen Nerv treffen
Als „Easy-Listening-Neofolk zum Einstieg“ empfiehlt Sellner denn auch die Salzburger Band Jännerwein. Auf der Webseite der Identitären wird den Kameraden besonders der Song „Kämpfe“ ans Herz gelegt. „Kämpfe, mein Freund, erwehre dich der Schlangen/ Bann -ihrer Lichter falschen Schein/ Kämpfe, mein Freund, und schone dich selbst nicht/ Und wisse, du kämpfst nicht allein“, singt ihn der Lederhosen tragende Frontman mit weihevoll tonloser Stimme, gerade als in Knauthain das letzte Licht hinter den Wipfeln des angrenzenden -Waldes verschwindet. Die Musik zum kämpferischen Text ist Lichtjahre entfernt vom Gebolze, mit dem zum Beispiel die britische Oi-Punk-Band Skrewdriver seit den frühen Achtzigern Hunderte von Rechtsrock-Bands geprägt hat. Auch ihren Headliner-Job in Leipzig erledigen die Goethe-Fans ohne Schweiß und Aggression.
Auf ihrer Facebook-Seite hatten Jännerwein vor dem Leipziger Neofolk-Festival ihren vorläufigen Abschied angekündigt, nach neun Jahren im Tannenduft. Ihre Renaissance als Vorzeigeband der neurechten Identitären: Vielleicht bekommen sie die gar nicht mehr mit.