Buddhismus in Taiwan: Erleuchtung durch Death Metal

Gottlos, satanistisch, blasphemisch: Death Metal gilt als heidnischste Musik überhaupt. Die buddhistische Band „Dharma“ beweist das Gegenteil. Beim Besuch in Taiwan erklärt eine mitwirkende Nonne, wie sich der Todeslärm mit ihren Werten verträgt. Im Konflikt mit China wird die Musik zur Geheimwaffe.

Sechs in Roben gehüllte Gestalten folgen der in orange gewandeten Nonne auf die Bühne, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Eine sanft schwingende Klangschale begleitet ihre Schritte. Räucherstäbchen verbreiten den Geruch von Sandelholz. Dann macht die Prozession mit einem Schlag Halt. Ein Gong ertönt – und die Hölle bricht los. Gitarrenriffs durchreißen die feierliche Stille. Aus den dröhnenden Bässen schälen sich Gesänge, die der westliche Zuhörer noch am ehesten mit gregorianischen Chorälen assoziiert. Es ist ein in der altindischen Sprache Sanskrit verfasstes Mantra – „Aryavalokiteshvara Bodhisattva Vikurvana Dharani“ – das dem, der es singt, die Gnade von Buddhas Licht zuteilwerden lassen soll.

Die taiwanische Band „Dharma“ unterlegt traditionelle Sutren, also Lehrsätze wie diesen, ausgerechnet mit Death Metal, der vielleicht heftigsten Spielart der Rockmusik, in der sonst eher Gewalt und Tod die Themen sind. Im Hintergrund der nun in rotes Licht getauchten Bühne rotiert ein buddhistisches Rad des Lebens, das sich auf faszinierende Weise im Moshpit widerspiegelt und vorn immer mehr Zuschauer in einen Malstrom aus Körpern zieht. Einer hat sich gleich beim ersten Song nach oben wuchten lassen. Auf den Händen der Menge schwebt er aufrecht im Lotus-Sitz über dem Chaos.

Diese Art von meditativem Crowdsurfing hat bei Auftritten von „Dharma“ bereits Tradition. Auch wird hier nicht wie bei Metal-Konzerten üblich die Faust zum Teufelsgruß in die Luft gereckt. Die Fans falten die Hände zum Anjali Mudra, einer Geste der Ehrerbietung und Demut, die man hierzulande vor allem aus Yoga-Klassen kennt. Doch mit stiller Achtsamkeit und Gongbad-Endentspannung hat das nackenbrechende Spektakel wenig zu tun.

Auf der Bühne präsentieren sich die sechs Bandmitglieder mit martialischer Gesichtsbemalung. Sie sollen die „Dharmapalas“ darstellen, „zornvolle Schutzgottheiten“, die den buddhistischen Schüler – hier repräsentiert von der ordinierten Nonne Miao Ben – davor bewahren, vom Weg abzukommen. Ein bekannter Topos in vielen buddhistischen Schulen Asiens. „Wir machen kein buddhistisches Theater“, betont Jack Tung, der Schlagzeuger und Gründer von „Dharma“, ein langhaariger Hüne, der beim Sprechen erleuchtet lächelt.

Alle in der Band sind praktizierende Buddhisten. Vor jedem Konzert meditieren sie gemeinsam und spenden Teile ihrer Gage für karitative Zwecke. „Es gibt viele Wege, Frieden zu finden“, sagt Tung, der neben seiner Band auch ein Konzert-Venue in Taiwans Hauptstadt Taipeh betreibt. Die 52-jährige Miao Ben, die dem 1967 in Taiwan gegründeten buddhistischen „Fo-Guang-Shan-Orden“ angehört, pflichtet ihm bei: „Extremer Lärm ist nur die Kehrseite der Stille.“

Rund 20 Prozent der 23,5 Millionen Einwohner Taiwans bekennen sich zum Buddhismus, neben dem Daoismus die wichtigste Volksreligion der Insel. „In Taiwan gibt es mehr Tempel als 7-Eleven-Supermärkte“, sagt Tung und lacht. Die beiden größten Gemeinschaften, „Fo Guang Shan“ (Buddhas Berg des Lichts) und „Tzu Chi“ (Barmherzige Hilfe) legen Wert auf Humanismus und Wohltätigkeit. Inspiriert wurden die Orden dabei auch vom Christentum, dessen Missionare hier vor mehr als 100 Jahren Schulen und Krankenhäuser errichteten.

Gerade junge Menschen empfinden die Gemeindeaktivitäten der Buddhisten, von Kleidersammlungen über Gesangkreise, jedoch als verstaubt – zumal sie oft fest in Rentnerhand sind. „Das ist in anderen Ländern ja nicht anders bei religiösen Traditionen“, resümiert Tung. Er will die Shows seiner Bands deshalb als gelebten Buddhismus verstanden wissen. „Viele junge Menschen kleben heute an ihren Smartphones und wissen nicht, wer sie sind. Der Buddhismus kann ihnen eine Richtung geben.“

Den Geist läutern

Die Idee, extremen Heavy Metal mit buddhistischen Themen zu kombinieren, kam ihm schon vor 20 Jahren. Die monoton vorgetragenen, hypnotischen Sutren, die er aus dem Tempel kannte, ergänzten sich in seinem Kopf perfekt mit den heruntergestimmten Gitarrenriffs seiner Lieblingsbands wie „Morbid Angel“. Tung hatte jedoch Angst, dass seine Idee bei Metal-Fans auf Ablehnung stoßen würde. Und noch mehr, dass die buddhistischen Würdenträger Taiwans sein buddhistisches Update der von Haus aus blasphemischen Death-Metal-Musik als Sakrileg betrachten könnten.

2019 pilgerte er deshalb von Tempel zu Tempel, um den Meistern, Mönchen und Nonnen die ersten Demoaufnahmen von „Dharma“ vorzuspielen. „Auch wenn sie über 80 waren und noch nie zuvor Heavy Metal gehört hatten, war die Reaktion durchweg positiv“, erinnert sich Tung. Auch Miao Ben, die Nonne, die nun bei Dharma Mantras zitiert, zeigte sich begeistert. „Zunächst war ich geschockt über diese extreme Musik. Aber ich dachte auch, dass es eine brandneue Art ist, den Buddhismus jüngeren Menschen zu vermitteln. Ich wollte sofort mitmachen“.

Unter den Metal-Heads, die offen genug waren, das Projekt mit Tung durchzuziehen, war auch Joe Henley, der einzige Nicht-Taiwaner der Band. 2005 kam der Kanadier nach Taipeh, um als Journalist und Übersetzer zu arbeiten. Die kleine, aber ausdifferenzierte Metal-Szene zog ihn schnell in ihren Bann. Er spielte bald in mehreren Bands und half, Taiwan-Tourneen für amerikanische Genre-Größen wie „Cannibal Corpse“ zu organisieren. Mit „Dharma“ begann für ihn jedoch ein völlig neues Kapitel. Um die Sutren richtig intonieren zu können, ging er 2019 für vier Monate in die Lehre eines buddhistischen Meisters in einem Tempel im Wanhua-Distrikt von Taipeh. „Es war eine interessante Erfahrung“, erinnert er sich. „Die Klasse bestand nur aus mir, einem bis zum Hals tätowierten Kanadier in seinen Dreißigern, und einem Haufen taiwanischer Rentner, die den Kurs in ihrer Freizeit besuchten.“

Um wirklich zu verstehen, was er da sang, vergrub sich Henley tiefer in die Lehren des in Südostasien weitverbreiteten Mahāyāna-Buddhismus. „Eines Tages sprach der Meister davon, dass unsere Gedanken wie Mäuse sind. Er sagte: ‚Versucht beim Meditieren nicht, die Maus zu fangen, sondern seid euch einfach ihrer Anwesenheit bewusst.‘ Das blieb mir im Gedächtnis.“ Am Ende des Kurses konvertierte der in einem christlichen Haushalt aufgewachsene Metal-Head nicht nur zum Buddhismus, er hörte auch mit dem Trinken auf. „Seitdem sind die Lehren des Buddha auch außerhalb der Band ein fester Bestandteil meines Lebens“.

BEHEMOTH

Ein liberaler Satanist will Polen retten

Henley vergleicht „Dharma“ mit der polnischen Band „Batushka“, die sich von der mystischen Seite der orthodoxen Kirche inspirieren lässt und ihre Songs in Altslawisch textet. „Metal ist glücklicherweise ein Genre, das sich ständig weiterentwickelt“, sagt er. „Ich werde meine Lieblingsbands aus den 90ern noch hören, wenn ich im Altersheim sitze. Aber du kannst nicht ewig nur über Satan und Gewalt singen.“

Tatsächlich machen immer mehr Metal-Bands auf der ganzen Welt spirituelle Traditionen und Mythologien zum Inhalt ihrer Musik: In Indien feiern vedische Metalbands wie „Purvaja“ die Göttin Kali, die im Hinduismus den Tod, die Zerstörung aber auch die Erneuerung verkörpert. In Mexiko beschwört die Band „Cemican“ mit Flötenklängen und Federschmuck prähispanische Azteken-Priester. Und 2022 sorgte der indigene Musiker „Sgah’gahsowáh“ auf der Plattform Bandcamp für Aufsehen, als er mit seinem Soloprojekt „Blackbraid“ Black Metal mit Legenden amerikanischer Ureinwohner paarte.

„Dharma“ ist auch längst nicht die einzige Metal-Band der Erde, die sich vom Buddhismus inspirieren lässt. Doch wo Gruppen wie „Gautam“ aus Uttar Pradesh oder „Kanprai“ aus Thailand die buddhistische Unterwelt „Naraka“ besingen, oder sich wie misanthropische Eremiten von der Welt lossagen, haben „Dharma“ das Potenzial, in der Mitte der Gesellschaft anzukommen. Das hat mit der besonderen Rolle des Buddhismus in Taiwan zu tun. Denn der befriedigt nicht nur spirituelle und soziale Bedürfnisse, er erfüllt auch geopolitische Funktionen. Aufgrund des Drucks aus der Volksrepublik China erkennen die meisten Staaten der Weltgemeinschaft Taiwan nicht als souveränen Staat an. Deshalb muss das Land auf andere Weise diplomatische Kontakte pflegen. Und hier springt der Buddhismus in die Bresche.

„Tzu Chi“ und „Fo Guang Shan“ sind heute milliardenschwere, global operierende Organisationen, die auf allen fünf Kontinenten Tempel, Akademien, Verlage und Wohltätigkeitsvereine unterhalten. Auch in der internationalen Katastrophenhilfe sind die taiwanischen Buddhisten äußerst aktiv. Und das sogar in Festland-China, das ansonsten zivil organisierten religiösen Gemeinschaften gegenüber äußerst misstrauisch ist, man denke an die seit 1999 in China verbotene und rigoros verfolgte Falun-Gong-Bewegung.

Der amerikanische Religionssoziologe Richard Madsen spricht in diesem Zusammenhang vom Prinzip der „moralischen Repräsentanz“: Diplomatisch isoliert und geopolitisch weitgehend machtlos, kann Taiwan durch Organisationen wie „Tzu Chi“ oder „Fo Guang Shan“ ein positives, engagiertes Bild von sich in die Welt tragen. Auch eine buddhistische Metal-Band passt indirekt gut in dieses Konzept. Dass eine Nonne nicht lange zögert, Teil einer extremen Metal-Band zu werden, ist so wohl nur in Taiwan möglich.

Dass gesehen wird, wer Grenzen überschreitet, weiß auch Freddy Lim, ein anderer Heavy-Metal-Botschafter der demokratisch regierten Insel. Seine Band „Chtonic“, die Elemente aus Enka-Schlagern und chinesischer Oper einfließen lässt, schreibt Songs über Helden der taiwanischen Geschichte oder den Freiheitskampf der indigenen Minderheit. Als Politiker war Lim eine bestimmende Kraft in der von den Sonnenblumen-Protesten inspirierten New Power Party, die Peking offen herausfordert, indem sie die Unabhängigkeit Taiwans propagiert. 2016 zog er als Abgeordneter ins Parlament ein und wurde, anfangs noch mit langen Haaren, schnell zum Aushängeschild der taiwanischen Weltoffenheit. Wie nebenbei tourte er weiter mit „Chtonic“ und spielte dabei auch dreimal in Wacken, beim größten und wichtigsten Metal-Festival in der Nähe von Hamburg. In der Hafenstadt Kaohsiung hat Lim ein eigenes Musikfestival namens Megaport ins Leben gerufen, das wegen Taiwans gut gemanagter Corona-Politik auch 2021 vor 95.000 Menschen stattfinden konnte.

Dieses Jahres lud Lim auch die Buddhisten der Band „Dharma“ auf das Megaport ein, wo sie vor tausenden Zuschauern spielten. „Ich habe mich auf Anhieb in ihre Musik verliebt“, sagt der zuletzt unabhängige Parlamentarier, der dieses Jahr aus familiären Gründen seinen Rückzug aus der Tagespolitik ankündigte. „Ich denke, dass die Idee Buddhismus mit Metal zu paaren, nicht nur Sinn macht, sondern dass Dharma sie auch ausgezeichnet umsetzen.“ Er sei zwar nicht sicher, ob sich dadurch mehr Menschen für den Buddhismus interessieren: „Aber ich glaube, dass das aufmerksame Hören ihrer Musik den Geist beruhigen und ihn sogar läutern kann.“

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