Yvonne Adhiambo Owuor: „Die westlichen Bedenken über China sind nicht zu unserem Vorteil“
In ihrem Werk untersucht die Autorin Yvonne Adhiambo Owuor afrikanische Identitäten in Zeiten globaler Umbrüche und die wachsende Präsenz Chinas auf dem Kontinent. Sie erklärt Fabian Peltsch, wie die junge Generation sich vom Westen abwendet.
Ihr Roman „Das Meer der Libellen“ handelt von einer jungen Kenianerin, die als Nachfahrin eines chinesischen Seemanns aus dem 15. Jahrhundert aus der Flotte des berühmten Admirals Zheng He identifiziert wird. Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Sie nutzen sie, um das wachsende wirtschaftliche und kulturelle Interesse der Chinesen in Afrika zu beleuchten. Was hat Sie an dem Stoff interessiert?
Die Geschichte der ostafrikanischen Suaheli-Küste ist eine tiefgehende Geschichte von Handel, Begegnungen, Kriegen, Begehrlichkeiten und Besitzansprüchen. Ein Ort, der von Persern, Chinesen, anderen Afrikanern, Arabern und Mamelucken weltweit besucht wurde. Das gegenwärtige `Wiederauftauchen‘ der Chinesen in unserer Welt, einschließlich ihrer Erinnerung an Admiral Zheng He, wirft ein Schlaglicht auf die Realität eines globalisierten Ostafrikas, lange bevor die Europäer auf der Bildfläche erschienen. Es gibt viele Menschen im globalen Norden, die an der Illusion festhalten, dass die Geschichte Afrikas mit dem Auftauchen der Europäer beginnt, was natürlich Hybris und Wahnsinn ist. Mein Roman war so auch eine private Untersuchung darüber, wie wir auf unsere Meere schauen können, um unsere Zugehörigkeit in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erforschen.
Wie nehmen Sie persönlich die wachsende Präsenz chinesischer Staatsangehöriger und chinesischer Unternehmen in Ihrem Heimatland Kenia wahr?
Es ist nichts Überraschendes, nichts Neues. Wissen Sie, die Präsenz der Chinesen in Ostafrika wurde für den Westen erst zu einer großen Sache nach der globalen Finanzkrise 2007-08, die an China und den Ländern, mit denen es in Afrika eine wirtschaftliche Verbindung aufgebaut hatte, vorbeiging. Ich verstehe die westliche Hysterie über die Anwesenheit der nicht-westlichen Akteure in Afrika nicht, wenn man bedenkt, dass so viele dieser Westler in Afrika leben. Aber ich erkenne an, dass sich die Welt in einer Epoche historischer Verschiebungen befindet. Die westliche Aufregung über den wachsenden chinesischen Einfluss ist einigermaßen verständlich. Keine Kultur wird sich wohlfühlen, wenn sie erlebt, wie ihre Macht schwindet.
Die chinesische Regierung versucht, diese Kontinuität der Beziehungen zwischen Ostafrika und China zu betonen, indem sie auf die friedlichen Besuche von Zheng He hinweist. Sie führte auf der Insel Pate sogar DNA-Tests durch, um zu beweisen, dass sich Chinesen aus seiner Flotte Anfang des 15. Jahrhunderts mit der einheimischen Bevölkerung vermischten.
Gut für China. Das Land verfeinert seine Version der globalen Geschichte. Auch wir Afrikaner hätten die Stränge, die unseren Einfluss auf die Welt und auf die Geschichte offenbaren, früher aufzeigen sollen. Das käme der Tiefe, der Komplexität, der Vielfalt und dem Reichtum der Menschheitsgeschichte zugute. Denken Sie darüber nach: Wenn die Deutschen versuchen würden, eine alte, gemeinsame Geschichte in Afrika wiederaufleben zu lassen, würde dies als Fortschritt betrachtet werden. Warum haben also so viele Westler ein Problem damit, wenn die Chinesen, die eigentlich ältere und umfassendere Verbindungen zu uns haben, so etwas tun?
China ist bekannt dafür, einseitige Geschichten zu verkaufen, so wie die Darstellung von Admiral Zheng He als ausschließlich friedlichem Diplomaten …
Die Menschen an der kenianischen Küste haben ein komplexeres Bild vom Admiral. Das sind die Geschichten, die mich am meisten interessieren: die Erinnerungen unseres Volkes. Wir sind uns bewusst, dass das Reich der Mitte nur eines von vielen war, das uns besuchte. Und ist es nicht seltsam, dass man uns gleichzeitig mit Geschichten über reisende Europäer wie Vasco da Gama, David Livingston, Albert Schweitzer oder Karen Blixen überflutet hat – weiß gewaschenen Schurken, die als heldenhafte und transformative Gestalten verpackt wurden? Warum also sollten wir plötzlich ein Problem mit der Version des großen Admirals haben, wie der chinesische Staat sie projiziert?
Sie sind also der Meinung, dass die Präsenz Chinas den Afrikanern die Chance bietet, ihre Geschichte neu zu schreiben, da China zeigt, wie man westlichen Erzählungen entgegentritt?
China liefert uns vor allem ein Beispiel dafür, was ein einst zerstörtes und erobertes Land erreichen kann. Welche Ausrede können wir mit unserem Reichtum jetzt noch vorbringen, um unsere Rolle in der Welt nicht neu zu definieren? Wissen Sie, als ich ein Schulkind in Kenia war und es in China ein verheerendes Erdbeben gab, hatten unsere Lehrer eine Spendenaktion organisiert, damit wir „für die Kinder in China spenden“. Das war in den Siebzigerjahren. Was China in nur 30 Jahren erreicht hat und das, ohne auf Schikanen, Völkermord und Plünderung zurückgreifen zu müssen, ist eine historische Leistung für die Menschheit. Als Kenianer und Ostafrikaner sehe ich mich gezwungen zu fragen: Was wäre nötig, um das Beste aus uns herauszuholen?
Ihr Roman wird voraussichtlich noch in diesem Jahr in China veröffentlicht werden. Welche Erfahrungen haben Sie mit chinesischen Lesern und deren Bild von Afrika und afrikanischer Literatur gemacht?
Einige Wissenschaftler und Künstler und ich hielten letztes Jahr Zoom-Vorlesungen mit Studenten einer Hochschule in China. Diese Studenten hatten zuvor noch nie mit afrikanischen Denkern zu tun gehabt. Nachdem das Eis gebrochen war, stellten die jungen Studenten faszinierende Fragen. Beiden Seiten wurde klar, wie sehr wir unsere Erkenntnisse über den anderen aus Quellen bezogen, die nicht unbedingt unseren Interessen entsprachen: aus Büchern über soziale Entwicklung, Anthropologie- oder Naturdokumentationen, Reiseerinnerungen, Statistiken der Weltbank und Auslandskorrespondenten, die auf subtile oder auch nicht so subtile Weise negative Stereotypen unterstreichen.
Wie das Bild von Afrika als Kontinent der Verzweiflung, der Safaris und der Armut?
Ganz genau. Ein Kontinent, der in ständiger Krise und Hilflosigkeit gefangen ist, voller Völker, die von anderen erwarten, dass man für sie denkt. Ich habe die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, darüber nachzudenken, woher sie die Informationen haben. Eine solche Erkundung eröffnet Raum für andere Arten von Gesprächen, zum Beispiel darüber, wie wichtig es ist, unsere Werke direkt füreinander zu übersetzen und unseren Austausch ohne Vermittler zu führen. Ich sage nicht: Afrika ist dies oder Afrika ist das. Ich sage den Schülern: Recherchiert selbst und dann, wenn ihr könnt, besucht es.
Glauben Sie, dass die Beziehungen zu China in den nächsten Jahren noch enger werden?
Wir neigen dazu, zu vergessen, dass nicht nur China Ostafrika beeinflusst, sondern auch die Ostafrikaner China beeinflussen. Es gibt afrikanische Studenten in China, es gibt chinesische Wissenschaftler in Afrika, es gibt junge chinesische Studenten, die jedes Jahr zu Besuch kommen, um in die Natur einzutauchen und ihre eigene Beziehung zur Wildnis und der Umwelt zu entwickeln. Im Dezember 2017 hat China den Handel mit Elefantenprodukten und Elfenbein verboten. Diese Entscheidung war zum Teil auf dieses Engagement in Ostafrika zurückzuführen.
Was ist mit dem Rassismus gegenüber Afrikanern? Ich erinnere mich an eine staatliche Frühlingsfest-Gala im Jahr 2021. Dort gab es eine Tanzchoreografie zur Feier der chinesisch-afrikanischen Beziehungen, bei der chinesische Tänzer als afrikanische Buschmänner verkleidet waren, mit schwarz bemalten Gesichtern und Bananenröckchen.
Diskriminierung, die aus Unwissenheit entsteht, kann immer korrigiert werden. Sie ist nicht vergleichbar mit absichtlichem und ideologischem Rassismus, der geschaffen wird, um eine imaginäre kulturelle Überlegenheit zu stützen. Die nachfolgenden Galas wurden besser kuratiert. Obwohl der Filmsektor wahrscheinlich noch einige Lektionen braucht – ich denke da an den wirklich schrecklichen Film „Wolf Warrior“, der versuchte, den langweiligen weißen Retterkomplex zu wiederholen, aber mit chinesischen Charakteren.
Im Westen gibt es die Vorstellung, dass China afrikanische Ressourcen ausbeutet und unverantwortlich mit der Umwelt und den Arbeitern umgeht. Ist das ein falsches Narrativ?
Es gibt Konfliktpunkte, das lässt sich nicht leugnen. Kulturelle Zusammenstöße sind unvermeidlich. Zum Beispiel die Schlachthöfe für Eselfleisch, um den chinesischen Markt zu beliefern. In Ostafrika sind Esel Gefährten. Wir schlachten keine Esel – und auch keine Pferde. Ich hasse den Opportunismus, der die Werte verändert, die uns als Kenianer lieb und teuer sind. Andererseits verwirren mich die „Sorgen“ des Westens, wenn man bedenkt, wie Afrika in den westlichen Mainstream-Medien noch immer dargestellt wird. Dies sind Nationen, die alles getan haben, um auch nur einer Entschuldigung für die Rolle ihrer Vorfahren bei der schlimmsten aller historischen Gräueltaten, dem atlantischen Sklavenhandel, aus dem Weg zu gehen. Wir alle wissen, dass die westlichen „Bedenken“ nicht zu unserem Vorteil sind. Es ist vor allem Panik vor dem drohenden Verlust des billigen und einfachen Zugangs zu afrikanischen Ressourcen.
Was denken Sie über die derzeitige Regierung? Präsident Ruto scheint China weniger zugeneigt zu sein als sein Vorgänger.
Er scheint das Land ganz zum Westen hin ausgerichtet zu haben. Wir waren dabei, einen guten Mittelweg zu finden, einen Raum für eigennützige Neutralität. Und in Anbetracht der Zeit, in der wir heute leben, des Aufkommens zukunftsweisender Bündnisse wie Brics+, der wechselnden Winde der Geschichte und des Generationswechsels erinnert dieser Schwenk an eine Fantasie von der Rückkehr der Sechzigerjahre, des Kalten Krieges und der von den Bretton-Woods-Institutionen dominierten Achtziger.
Was erwarten Sie für die weitere Entwicklung der Beziehungen zu China?
Aus den Gesprächen vor Ort entnehme ich, dass es wohl oder übel zu einer über kompensatorischen Gegenreaktion kommen wird. Es wird eine Generation heranwachsen, die dem Westen gegenüber weniger offen sein wird. Aber diese Art von Schwankungen nach links oder rechts tritt auf, wenn ein Volk und eine Nation sich nicht die Zeit genommen haben, ihren Ursprungsmythos und ihre Träume für die Zukunft zu definieren. Sie sind wie ein Schilfrohr, das sich in die eine oder andere Richtung biegt, je nachdem, welcher Wind am stärksten weht. Ich glaube, wir müssen uns viel mehr der kenianischen Selbstliebe und dem Eigeninteresse widmen und immerzu fragen: „Ja, aber was bringt das für unser ganzes Volk und für tausend Generationen zukünftiger Kenianer?“
Yvonne Adhiambo Owuor wurde 1986 in Nairobi, Kenia, geboren. In ihren Romanen widmet sich die Schriftstellerin der neueren Geschichte ihres Heimatlandes. 2003 wurde sie mit dem Caine Prize for African Writing ausgezeichnet. Auf Deutsch erschienen ihre Werke „Der Ort, an dem die Reise endet“ (2014) und „Das Meer der Libellen“ (2019) beim Verlag DuMont. Nach Schreibaufenthalten in Berlin und Iowa lebt und arbeitet Owuor wieder in Nairobi.