Ort der Vielfalt

Zwei Freunde, ein Europäer und ein Namibier, vereinen im einzigen Plattenladen Namibias ihre Leidenschaft für Vinyl. “Broken Records” soll ein Begegnungsort jenseits von Hautfarben und gesellschaftlichen Gräben sein. Hier findet man alles, von Grindcore aus Japan bis zu afrikanischen Klassikern – und die einzige neue Platte einer lokalen Künstlerin seit vielen Jahrzehnten. 

Namibia sei „Afrika für Anfänger“ hört man Touristen gerne sagen. Kaum ein anderes Land auf dem Kontinent biete eine derart gute Infrastruktur, um auf eigene Faust die Nationalparks und Küsten zu erkunden. Das einst von Deutschen kolonisierte Land gilt als sicher und sauber. Und tatsächlich: Wenn man von Lodge zu Lodge, von Campingplatz zu Campingplatz fährt, fühlt man sich irgendwann wie in einem riesigen Abenteuerpark für Touristen. Der schwarzen Mehrheit des Landes begegnet man dabei vor allem als Angestellten an Rezeptionen und in Restaurants. Man muss sich schon bemühen, um mit ihrer Lebensrealität in Berührung zu kommen, zum Beispiel mit einem Ausflug in die Townships von Katutura in der Hauptstadt Windhoek.

In der Sprache der lokalen Herero-Volksgruppe bedeutet Katutura so viel wie „der Ort, an dem wir nicht leben möchten”. In den 50er-Jahren wurde die schwarze Bevölkerung hierhin abgeschoben. Wie im eigenen Land setzte die damalige südafrikanische Mandatsmacht in Namibia eine strenge Rassentrennung durch – und wie in Südafrika wurde auch in Namibia scharf geschossen, wenn sich dagegen Widerstand regte. Heute ist Katutura längst kein reiner Armutsbezirk einer unterdrückten Mehrheit mehr, aber er legt noch immer die Gräben offen, die durch die vielen Jahre der Apartheidpolitik entstanden sind. Katutura ist geschäftig, jung, laut und schwarz, und damit ein Kontrast zur Altstadt, wo ein Großteil der weißen Bevölkerung lebt und sich noch immer der meiste Tourismus abspielt. Dort fühlt man sich aufgrund der vielen Kameras und der mit Stacheldraht bewehrten Hausmauern mitunter wie in einem nicht enden wollenden Botschaftsviertel. Auch wenn die von den Südafrikanern aufoktroyierte Apartheidpolitik offiziell abgeschafft ist, und man sich um ein faires Zusammenleben bemüht, sind die ökonomischen Realitäten doch noch immer vom Erbe dieser Zeit geprägt. Von den rund drei Millionen Einwohnern Namibias sind nur rund fünf Prozent weiß – und doch verfügen diese in der Regel über ein höheres Einkommen, mehr Vermögen und größeren Landbesitz als die schwarze Bevölkerung, von der laut Weltbank fast ein Fünftel chronisch unterernährt ist.  Vielleicht auch, um nicht allzu oft mit diesen Fakten konfrontiert zu werden, bleibt man als Teil der jeweiligen Community eher unter sich. „Das Land ist immer noch ziemlich gespalten. Niemand sagt es laut, aber so ist es“, sagt der Finne Pietsu Arikka, der in Namibia eine neue Heimat gefunden hat. Zusammen mit seinem Freund und Geschäftspartner Jerome Mwedihanga betreibt er den einzigen Plattenladen des Landes, der gleichzeitig auch einer der wenigen Orte ist, an dem Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe auf Augenhöhe zusammenkommen. „Broken Records“ liegt im gepflegten Zentrum der Hauptstadt Windhoek, und ist allein schon deshalb ein kultureller Ausreißer. Um den Laden zu finden, muss man zunächst den Zoo-Park durchqueren, eine der wenigen Grünflächen der Stadt. In unmittelbarer Nähe befindet sich auch das wahnwitzige Independence Memorial Museum, das ausgerechnet eine nordkoreanische Firma errichtet hat. Wo früher eine Reiterstatue der deutschen Kolonialherren thronte, grüßt nun Sam Nujoma, der erste Präsident Namibias, als Statue im Stil des sozialistischen Realismus. Man merkt: Die Einflüsse, die sich im Land nach der Unabhängigkeit im Jahr 1990 breit machen konnten, sind vielfältig und durchaus umstritten.

„Broken Records“ befindet sich im ersten Stock über einem Restaurant. Hat man die enge Treppe hinter sich gelassen, fühlt man sich direkt, als wäre man in die Kulisse der TinyDesk-Konzerte gestolpert. An den Wänden stapeln sich Bücher, Kassetten, CDs und Platten. Dazwischen sind auf Holzpaletten Kofferradios, Vintage-Instrumente, Röhrenfernseher und Plattenspieler drapiert. Es ist die persönliche Sammlung von Jerome. Der hauptberuflich als IT-Experte tätige Namibier hatten den Laden im Jahr 2020 zunächst als Café-Bar eröffnet. „Vinyls“, so der Name des Gesamtkonzepts, war als „Platz für die Community“ gedacht, während das öffentliche Leben in der Corona-Unsicherheit zum Stehen gekommen war. An fünf Tischen kann man noch immer trinken, arbeiten, Spiele spielen oder einfach abhängen. In der Mitte des Raums befindet sich eine kleine Bühne, wo regelmäßig DJ-Gigs und Comedy-Shows stattfinden. Die Platten, die man im Gegensatz zur Inneneinrichtung aus Jeromes Privatsammlung tatsächlich kaufen kann, sind in mehreren Regalen über den Raum verteilt. Sie bilden „Broken Records“: „Neuheiten“, „Hiphop“, „Compilations“, „Pop“, „Rock“ und noch einiges mehr, wobei „World“ und „African“ hier natürlich strikt getrennt sind.

Während der Corona-Zeit kam auch Pietsu regelmäßig in Jeromes „Vinyls“-Café. Den 28-Jährigen hatte es zum Studium nach Tansania verschlagen. Als die Pandemie ausbrach, kam er nach Namibia um in Ruhe an seiner Master-Arbeit zu schreiben und nebenbei zu surfen – das Land ist wegen seiner langen Küstenlinie und den stabilen Wellen eines der beliebtesten Surfziele Afrikas. „Nun bin ich schon vier Jahre hier und habe nicht vor, so schnell wieder wegzuziehen“ sagt der Blondschopf, der bereits als Elfjähriger Platten sammelte und weltweit als House-und Disco-DJ unterwegs ist. „Es war wie ein Wohnzimmer, voller netter Menschen und guter Musik.“ In einer Zigarettenpause vor der Tür lernte er dann den Besitzer näher kennen. „Ich bettelte Jerome an, dass er mit einige Stücke seiner Sammlung aus dem Café verkauft“, erinnert sich der Vinyl-Nerd. „Aber Jerome antwortete immer: „That‘s not going to happen. Und du bist übrigens nicht der erste, der mich danach fragt.“ Beide lachen, als sie sich an ihre erste richtige Begegnung erinnern. Aus ihrer gemeinsamen Sammelleidenschaft entstand schließlich die Idee, selbst Musik auf Vinyl zu verkaufen. Doch statt einfach ausgewählte Stücke aus der Inneneinrichtung zu veräußern, beschlossen die beiden, ein ganz neues Sortiment anzulegen. Ihre Temperamente – der ruhige Planer Jerome und der extrovertierte Netzwerker Pietsu – passten dabei auf Anhieb zusammen. „Ich habe die Leidenschaft und Jerome weiß, in welche Bahnen man sie lenken muss, damit es auch funktioniert”, sagt Pietsu. Er reist regelmäßig ins Ausland, um nach Platten für den Laden zu graben – dank seines Passes steht ihm die Welt ein bisschen offener als dem in der Nähe von Windhoek aufgewachsenen Jerome – auch das ein Erbe ungleicher Privilegien. Der Laden bleibe am Ende dennoch  „Jeromes Baby”, betont Pietsu. „Er hatte die Idee, hier was aufzumachen und er weiß auch besser, wie man die Sachen hier angeht und zum Laufen bringt. Ich fühle mich daneben oft wie ein Teenager, der einfach nur auf Musik abfährt.” Ganz so viel Bescheidenheit will Jerome nicht gelten lassen. „Pietsu war das i-Tüpfelchen für die ganze Sache und ich wäre auch nicht so weit gekommen ohne ihn”, sagt er bestimmt. „Broken Records” gehört heute beiden zu 50 Prozent. Und das ist in Namibia wie gesagt noch immer ungewöhnlich. „Manche Leute kommen hier rein und denken, ich sei nur der Manager und dass der Laden einem Weißen gehört”, sagt Jerome. Für ihn sind rassistische Vorurteile im Geschäftsleben seit vielen Jahren Alltag. Für den Finnen Pietsu eher nicht. „Solche Sachen machen mich rasend”, sagt er. „Ich möchte diesen Leuten entgegenschreien: Ich bin nur ein Teenager! Ich weiß einen Scheiß!”

Namibia sei das zweitungleichste Land der Welt hinter Südafrika, führt Pietsu weiter aus. Daher begegne man leider täglich sozialer Ungleichheit. „Namibier sind stark gespalten, und es ist leicht, in einer Art Blase zu leben.” Unterschiedliche Lebensstile und Lebensbedingungen verschiedener Gruppen blieben für die andere Seite oft unsichtbar. Auch deshalb soll „Vinyls” und „Broken Records” einer jener „seltenen Treffpunkte” sein, an dem Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten zusammenkommen, um ihr Interesse an Musik, Poesie, Kunst und mehr zu teilen. „Es gibt nicht viele Orte wie unseren, wo sich alle diese Menschen begegnen. Darauf sind wir wirklich stolz. Es ist außerdem einer der wenigen Räume in Namibia, in denen die LGBTQ-Community willkommen ist und sich sicher fühlt.”

Musikalisch konzentrieren sich die beiden in ihrem Laden vor allem auf ihre Lieblingsstile Soul, Funk und Hiphop, es finden sich aber auch Platten anderer Genres in den Regalen, von Johnny Cash über Metallica bis hin zu japanischem Grindcore, den Pietsu von einer Tokio-Reise mitgebracht hat. „Wir haben auch einige private Kontakte in Sambia, Nigeria, Benin und Kenia, um an Platten zu kommen”, erklärt Jerome. Denn: Auf ganz Afrika bezogen, sei die Zahl der Plattenläden verschwindend gering. „Es gibt nur versprengte Einzeltäter in den meisten Ländern – das ist wenig und an sich sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, wie viel gute Musik aus Afrika kam und noch immer kommt und wie viele Platten noch immer im Umlauf sind”.

Durch Mund zu Mund-Propaganda, nehmen auch immer wieder Namibier mit den beiden Kontakt auf, die Sammlungen geerbt haben und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. „Sie haben die Platten vielleicht von der Großmutter geerbt oder in irgendeiner Garage in alten Kisten gefunden”, sagt Jerome. „Wenn ich vorbekomme, sage ich oft: Hast du eine Ahnung, wieviel das Zeug wert ist? Viele können erst gar nicht glauben, dass es überhaupt noch Menschen auf der Welt gibt, die diese Dinger noch abspielen können und auch abspielen wollen.” Er lacht. „Einer sagte sogar: ‚Ich kann es nicht fassen, ich muss meine Kinder bei euch vorbeischicken, die müssen sich das ansehen.’”

Durch ihr Netzwerk stoßen die beiden dabei immer wieder auf echte Juwelen, etwa Klassiker und Erstpressungen von Künstlern wie Fela Kuti oder Papa Wemba, dem „König des kongolesischen Rumba“. „Wer sie kaufen will, muss aber bei uns vorbeikommen”, betont Jerome. Einen Discogs-Shop unterhält „Broken Records“ nicht und es ist auch keiner geplant. „Es geht uns darum, die Community vor Ort zu stärken und zu vergrößern. Und die hat nichts davon, wenn die Platten nach Europa verschwinden.”

Natürlich ist nicht jeder Glücksfund in einwandfreiem Zustand, ergänzt sein Geschäftspartner. „Manchmal sind von 100 Platten 60 zerkratzt. Manchmal sind aber auch 95 perfekt, und nur fünf in schlechtem Zustand.” Ein Problem sei der in Namibia allgegenwärtige Wüstensand, der sich seinen Weg nicht nur in Häuser und Schuhe, sondern auch in die Platenhüllen bahnt. Um dem vorzubeugen, haben viele Sammler ihre Platten früher von oben bis unten mit Tape zugeklebt. „Diese Platten verkaufen wir eher selten”, sagt Pietsu. Besonders gut weg geht dagegen neuer und neu aufgelegter Hiphop, von Tyler, The Creator bis zu Oldschool-Klassikern aus den 90er-Jahren wie Ice Cube. „Am Ende des Monats, wenn die Leute ihr Gehalt bekommen, gehen aber auch die Sammler-Stücke weg, zum Beispiel alte Platten aus Nigeria.”

Ihre wichtigste Quelle, um an Tonträger zu gelangen, ist jedoch bis heute das Nachbarland Südafrika. Neben der Afrobeat-Nation Nigeria hat kein anderes afrikanisches Land eine so gut ausgebaute Musikindustrie. In Städten wie Kapstadt und Johannesburg gibt es zahlreiche Plattenläden und Sammler, Labels, Vinyl-DJs und Konzerthallen, in denen auch internationale Stars Halt machen – ganz im Gegensatz zu Namibia, wo alle paar Jahre allenfalls mal Gassenhauer wie Heino und Scooter die kaufkräftigere deutschsprachige Minderheit bespaßen. „Südafrika ist auf einem komplett anderen Level. Der Markt ist vergleichsweise riesig”, sagt Pietsu, der regelmäßig nach „K-Town” und „Jo’burg” fährt, um zu diggen und selbst aufzulegen. 

Südafrika war von 1915 bis 1990 die herrschende Mandatsmacht in Namibia. Die Wirtschaft der beiden Länder ist bis heute eng verzahnt. Südafrikanische Unternehmen halten große Anteile in den Schlüsselindustrien, etwa im Bergbau oder dem Bank- und Versicherungswesen. Und der Rand aus Südafrika ist neben dem Namibia-Dollar das gängige Zahlungsmittel.  Was die Musikindustrie angeht, hat der südafrikanische Einfluss jedoch kaum abgefärbt (leider abgesehen von der dortigen Rassentrennung, siehe Kasten). Es gibt in Namibia keine einflussreichen Plattenlabels, kaum Aufnahmestudios und auch keine maßgebliche Vertriebsstruktur für Musiker. Dabei mangele es keinesfalls an spannenden Künstlern, sagen Pietsu und Jerome und nennen zum Beispiel den Reggae-Songwriter Ras Sheehama oder die Band 4X4 Too Much Power, die traditionelle und moderne afrikanische Stile wie Kwasa Kwasa und Kwaito miteinander vermischt und „live die Bombe“ ist. „Es gibt so viel Potenzial in diesem Land. Alles ist noch frisch. Es gibt Raves in der Wüste und sogar eine Drum-and-Bass-Szene. Aber jemand muss etwas aus dem Underground machen, die Szenen vorantreiben. Was wir hier mit „Broken Records“ tun sind nur die ersten Schritte.” Ihr Laden, das klingt immer wieder an, hat eine Mission. Die beiden Besitzer planen, in Zukunft ein eigenes Plattenlabel anzudocken und auch Wiederveröffentlichungen von klassischen namibischen Künstlern aufzulegen, die bislang nur auf Kassette erschienen sind. „Es gibt eine Menge großartiger Musik hier, die niemand kennt. Und die soll nicht einfach verstauben”, sagt Jerome. Mit einer jungen lokalen Künstlerin arbeiten sie bereits eng zusammen: Chantell /Uiras alias Diolini stammt aus der einst von deutschen Kolonisten gegründeten Küstenstadt Swakopmund, lebt aber mittlerweile ebenfalls in der Hauptstadt Windhoek. Zusammen mit ihrem Produzenten Eric Nengola AKA Kid Wasabi, ist sie regelmäßiger Gast bei „Vinyls“ und „Broken Records“. “Wir gehen nicht oft aus, aber wenn, dann gehen wir dort hin. Der Vibe ist wirklich cool, und man kann nebenher noch Platten kaufen”, sagt die Neo-Soul-Sängerin, die Minnie Riperton und Erykah Badu zu ihren Haupteinflüssen zählt. Ihr letztes Album hat Diolini exklusiv auf Vinyl veröffentlicht – ein absolutes Novum in Namibia. Es ist die erste Schallplatte einer weiblichen namibischen Künstlerin für mehrere Jahrzehnte und die erste, die jemals auf transparentem Vinyl erschienen ist. Was hat sie dazu bewogen, diesen Aufwand auf sich zu nehmen, in einem Land, das keine Presswerke und keine Vinyl-Infrastruktur besitzt?  „Wir wollten ausschließlich auf Vinyl veröffentlichen, weil wir die Auszahlungsstruktur von Streaming-Plattformen nicht mögen”, antwortet Diolini. Ihr musikalischer Partner nickt:  „Außerdem fanden wir, dass das Album wertvoll ist, und eine Veröffentlichung auf Vinyl den Wert für uns am besten widerspiegeln würde.” „Butterfly Echoes”, so der Albumtitel, ist streng limitiert. Gerade Mal 30 Stück wurden hergestellt, was sich dementsprechend im Preis widerspiegelt. Bei „Broken Records“ bekommt man die letzten Exemplare für umgerechnet 60 Euro, wobei der Erlös vollständig an die beiden Künstler geht. Gepresst wurde die Platte in Finnland. Eric, der seit Jahren Vinyl sammelt und vor allem zum Sampling benutzt, hatte den Kontakt nach Helsinki bereits für ein früheres Projekt hergestellt. Und Pietsu brachte die Platten dann Anfang 2024 von einer Heimatreise mit nach Namibia. “Der Versand aus Europa ist sehr, sehr teuer, also habe ich sie einfach in mein Gepäck gesteckt.”

Ihnen allen kommt zugute, dass es in Namibia wie vielerorts in der Welt einen Trend zu Vintage-Ware gibt. Retro-Kleider und alte Kameras sind schon jetzt Distinktionsmerkmale hipper junger Namibier aus der Mittel-und Oberschicht. Mehr und mehr Anklang findet bei ihnen auch Vinyl, sagt Eric. „Ich glaube, dass die jüngere Generation die Wärme, Authentizität und Nostalgie analoger Formate wie Vinyl in Zukunft noch mehr zu schätzen wissen wird.” In den üblichen Second-Hand-Läden wie „Cash Converters” stößt man jedoch, wenn überhaupt, auf wenig brauchbares, und aufgrund der deutschen Vergangenheit obendrein auch immer wieder auf Marschmusikplatten und Best-Of-Alben von James Last: nicht die Art von Retro-Nostalgie, die man einem jungen Vinyl-Fan aus Namibia empfehlen möchte.

Weil viele der Gäste von „Broken Records“ sich zwar für Platten interessieren, aber oft kein Gerät haben, um sie abzuspielen, bieten Pietsu und Jerome auch eine kleine Auswahl aus Südafrika importierter Plattenspieler an – zusammen mit Workshops, wie man sie benutzt. „In den Workshops, die wir veranstalten, konzentrieren wir uns auf alle Aspekte der Vinylkultur, von Pressungen über DJing bis hin zu allem dazwischen”, sagt Pietsu. Ihr Ziel sei einen Raum und eine Plattform für Sammler, Schallplattenliebhaber und DJs zu schaffen – eine Community heranzuziehen, die praktischerweise auch gleich noch die potenzielle Kundschaft bildet. „Viele junge Menschen sind ohne dieses Wissen aufgewachsen, weil die Eltern entweder nie einen Plattenspieler hatten oder ihn irgendwann weggeschmissen haben. Wir versuchen also wirklich, eine ganze Kultur wiederzubeleben”, sagt Jerome. Auch die in Windhoek omnipräsenten Möbelgeschäfte hätten mittlerweile angefangen, Vinylplayer ins Sortiment aufzunehmen. „Aber Platten verkaufen die nicht. Deshalb lasse ich ihnen immer meine Karte da, wenn ich so etwas sehe”, lacht Jerome. Auch wenn die Verkäufe von Monat zu Monat steigen, wollen die beiden „Broken Records“ nicht komplett in einen eigenen Laden auslagern. Das System aus Café, Bar und Vinyl-Shop soll bestehen bleiben. „Wir möchten, dass auch Leute, die nicht auf Vinyl stehen, hier zwischen den Schallplatten chillen können.“ Dass seine persönliche Sammlung und das Sortiment von „Broken Records“ inmitten der Bar fast ineinander übergehen, sei übrigens nie ein Problem gewesen, versichert Jerome. „Die Aufbewahrung meiner Sammlung dort ist sicher, weil die Gäste den Wert unserer Arbeit schätzen und uns unterstützen. Niemand aus der Community bestiehlt uns. Man beißt nicht die Hand, die einen füttert.”

KASTEN: Südafrika und die Apartheid in der Popkultur

Nach der Niederlage des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg wurde Namibia, damals Deutsch-Südwestafrika, 1919 als Völkerbundmandat unter die Verwaltung Südafrikas gestellt. Südafrika behielt das Gebiet auch nach der Auflösung des Völkerbundes unter Kontrolle. Während der umstrittenen 75-jährigen Herrschaft institutionalisierte die Regierung in Namibia ihr rassistisches Apartheid-System. Das hatte auch Auswirkungen auf die Popkultur. Weiße Musiker hatten Zugang zu besseren Aufnahme- und Aufführungsmöglichkeiten sowie zu den Ressourcen der südafrikanischen Musikindustrie. Im staatlichen Radio hörte man Rock und Pop zunächst nur, wenn er von Weißen interpretiert wurde. So brachten US-amerikanische Musiker wie Jerry Lee Lewis und Elvis Presley den Blues, eine Musik der Versklavten und Entrechteten, quasi weißgewaschen auf ihren Heimatkontinent zurück. Die Zensur blieb auch während der 60er- und 70er-Jahre strikt. Die Behörden waren sich wohl bewusst, welche Rolle speziell die Rockmusik für die Civil Rights Bewegung in den USA spielte und dass sie die Kraft hatte, schwarze und weiße Jugendbewegungen einander näher zu bringen. Selbst Stars wie Stevie Wonder oder John Lennon wurden geächtet, weil sie die Apartheid kritisierten oder für die Freiheit Nelson Mandelas eintraten. Im Laufe der 80er-Jahre fanden dennoch viele internationale, auch von schwarzen Musikern initiierte Popkultur-Trends den Weg nach Südafrika und teilweise auch nach Namibia. Die Musikindustrie blieb aber größtenteils in “weiße“ und „schwarze“ Sphären geteilt. Der Markt schwarzer Zuhörer wurde teilweise mit 78-U/min-Schallplatten bedient, die speziell für batteriebetriebene Plattenspieler entwickelt wurden. Solche Geräte waren in den Townships und sogenannten informellen Siedlungen verbreitet, in denen Elektrizität oft nicht durchgehend verfügbar war.

Auch wenn sich viele Bands in Südafrika gegen die Rassentrennung aussprachen, wagten nur wenige Musiker die Grenzen wirklich zu verwischen. Zu ihnen zählten zum Beispiel das elfköpfige Jazz-Pop-Kollektiv Mango Groove, die von John Peel verehrte Punk-Band National Wake oder der 2019 verstorbene Pop-Songwriter Johnny Clegg, der als „der weiße Zulu“ bekannt war, weil er nicht nur mit Musikern dieser Minderheit auf Augenhöhe zusammenarbeitete, sondern auch in ihrer Sprache sang. Selbst 23 Jahre nach dem Ende der Apartheid sind “gemischte” Bands in der Region noch immer eine Seltenheit. Eine Ausnahme bildet etwa die Band John Wizards aus Kapstadt: „Afrika ist schwarz und weiß, doch die Menschen tun so, als wäre es nicht normal, dass Schwarze und Weiße gemeinsam Musik machen. Wir zeigen der Welt, dass Afrika für Einheit steht“, erklärt deren Sänger Emmanuel Nzaramba.