Peaches: „Warum haben Männer solche Probleme mit ihren Ärschen?“

Pop-Provokateurin, Feministin, Erzieherin: PEACHES hat eine Mission – mit Sex die Welt verbessern

Peaches
(Bild: Levi Manchak, CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0, via Wikimedia Commons)

Als wir Peaches zum interview treffen, feiert die Rock-Welt gerade Foo-Fighters-Frontmann Dave Grohl, weil der nach einem Beinbruch auf einem eigens für ihn angefertigten Thron Konzerte im Gips spielt. Peaches rollt mit den Augen. Sie sitzt auf einer Holzbank in einem Berliner Café und wirkt dünner denn je, aber so was sagt man ihr natürlich nicht – es wäre wohl kein Kompliment für jemanden, der seit Jahren so gegen Schönheitsideale rebelliert.

Was Grohl kann, konnte sie jeden-falls schon lange, und noch dazu viel spektakulärer. Nachdem Peaches sich 2010 bei einem Festival in Portugal den Knöchel gebrochen hatte („Sprung vom Schlagzeugpodest, David-Lee-Roth-Style“), entwarf sie ein ganzes Tournee-konzept um ihre Behinderung. Eine nackte transsexuelle Krankenschwester mit bemaltem Penis und roten Kreuzen auf den Brüsten musste sie damals mitsamt Rollstuhl über die Bühne schleudern, während die kanadische Sängerin mit einer Hand das Mikro und mit der anderen eine Flasche Wodka umklammerte. Rock’n’Roll hoch zehn, aber als Heldin hat deshalb niemand sie gefeiert.

„Bitches überall“

Die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen im Musikbusiness war von Anfang an die Triebfeder der Kunstfigur Peaches. Deswegen nannte sie ihre Alben „Fatherfucker“ und „Impeach My Bush“ und forderte in Songs wie „Shake Yer Dix“ Männer auf, zum Beat ihre Schwänze zu schütteln. „Schau dir die Rapper an: Bitches überall, ,twerk your asses, shake your tits, girls‘, die ganze Zeit. Oder die Rolling Stones, die mit einem riesigen aufblasbaren Schwanz auf der Bühne herumwedelten, 1975, bei ,Star Star‘. Warum kann eine Frau so was nicht auch tun?“

Natürlich hat es parodistische Züge, wenn sie auf der Bühne mit Stroboskop-kanone im Schritt Zeilen singt wie ,,You came to see a rock show, a big, gigantic cock show“ oder mit riesigem „Peaches“-Goldemblem vor der Brust ihr Publikum auffordert, die Shirts auszuziehen. Die darin enthaltende Forderung nach einem höheren Grad an weiblicher Selbstbestimmung ist dagegen ernst gemeint, und gegen die raue Energie ihrer Live-Shows wirkt bis heute jede in Unterwäsche nach Choreografie tanzende Pop-Femme-fatale verklemmt. Oder sollte man sagen: kastriert?

Sich der eigenen Verstörung stellen

Der Dreh geht so: Jeder, der sich eingesteht, dass er die fordernde weibliche Sexualität von Peaches verstörend findet, müsste sich konsequenterweise fragen, warum das so ist. Bei YouTube findet man unter ihren Videos neben den üblichen Liebes- und Hassbekundungen auch Kommentare wie „This is WRONG“ oder „Scared of her, scared of being raped!“. Viele Menschen finden es einfacher, Peaches als comichaften Sex-Maniac oder als feministische Krawall-Lesbe abzutun (für alle, die es wissen müssen: sie ist bi-sexuell), als sich ihrer Verstörung zu stellen.

Sogar ihre erste große Plattenfirma, Sony, versuchte anfangs hilflos, die als Merrill Nisker in Toronto geborene Popkünstlerin als verruchte Techno-Sirene zu verkaufen. „Meine Version von ,Set It Off‘ schien ihnen nicht radiotauglich genug, also ließen sie einen Remix anfertigen und luden einen deutschen Mainstream-Regisseur ein, das Video zu drehen“, erzählt sie über ihre zweite Single. Im fertigen Clip sieht man sie zum ballernden Eurodance von Tobi Neumanns „Radio Mix“ zwischen knutschenden und fummelnden Models auf einer Club-Toilette tanzen. Für den kurzen CG-Effekt im Mittelteil, bei dem ihr plötzlich Achsel- und Schamhaare aus dem pinkfarbenen Bikini sprießen, musste sie schwer kämpfen. Sie gewann und verlor: Sony entließ sie kurz nach der Fertigstellung aus dem Vertrag und forderte angeblich sogar das bereits investierte Geld zurück.

Alle Zeichen stehen auf Retrospektive

Nicht zuletzt dank der Mundpropaganda berühmter  Fans wie Björk, Marilyn Manson, Michael Stipe und Yoko Ono kann Peaches bis heute gut ohne Major-Label leben. Wenn man eines ihrer Konzerte besucht, ahnt man, dass die queere Community Peaches auch dann immer noch feiern würde, wenn sie seit „Teaches Of Peaches“ keine neue Musik mehr aufgenommen hätte. Das Debüt erschien vor 15 Jahren, mit „Rub“ kommt Ende September, sechs Jahre nach dem letzten Album, ihr fünftes Werk auf den Markt. „

Ich mache einfach immer weiter, ich möchte auch mit 90 noch auf der Bühne stehen.“ In diesem Jahr wird sie 47, und alle Zeichen stehen bereits auf Retrospektive.
Vor einigen Monaten erschien ihr autobiografisches Musical „Peaches Does Herself“ auf DVD, eine farbenfrohe Tanzrevue, in der sie in aufwendigen Kostümen (unter anderem einem goldenen Bodysuit mit steil abstehendem, im Show-Finale explodierendem Penis) die Höhepunkte ihrer Karriere nacherzählt.

Betrunken auf der Backstage-Toilette

Außerdem wurde jüngst ihr Behind-the-scenes-Bildband veröffentlicht, der Peaches so privat zeigt wie nie zuvor. Der Fotograf Holger Talinski hatte sie dafür sechs Jahre lang begleitet, er durfte draufhalten, wenn Peaches nackt auf der Backstage-Toilette saß und betrunken hinter einen Baum pinkelte. Andere Bilder vermitteln einen guten Eindruck davon, wie die Künstlerin war, als sie noch Merrill Nisker hieß und in Toronto Folkmusik spielte. Ganz ohne wildes Make-up oder Vagina-Overall, allein in der Wohnung, beim Abhängen mit Freunden oder mit ihrer Katze Catanza auf der Terrasse ihres Hauses in Los Angeles.

Das bemerkenswerteste Foto zeigt sie mit ihrer Familie auf der Wohnzimmercouch. „Es war das Ende einer Tour, sie war total kaputt“, erzählt der Fotograf. „Alle saßen entspannt beim Fernsehen, ich glaube, es lief Baseball.“ Wie auf vielen anderen Bildern des Buchs sieht man Peaches schlafend, die Füße hat sie auf den Schoß ihres Vaters gebettet, während die Mutter ihr zärtlich durchs Haar streicht.

Dass der Mythos der Electropunk-Provokateurin unter solchen Fotos leiden könnte, hat sie beschäftigt, aber es war ihr auch wichtig, einmal diese Seite zu zeigen. „Holger und ich saßen über ein Jahr an der Fotoauswahl. Ich musste ihn immer wieder daran erinnern, die wilde Seite nicht zu unterschlagen.“ Auf die erste Seite des Bildbands hat sie eine Widmung drucken lassen: „Für meine Schwester Suri – jetzt hast du Bilder zu all den Geschichten, die ich dir immer erzähle.“

Suri ist drei Jahre älter als Merrill alias Peaches, das Vorbild ihrer Jugend. Mit 23 wurde eine schwere Nervenkrankheit bei Suri diagnostiziert, seit Jahren sitzt sie im Rollstuhl. Mit ihrer berühmten kleinen Schwester ins Ausland reisen kann sie nicht. „Jedes Mal wenn ich in New York auftrete, wo sie wohnt, sitzt sie oben in der Loge und ich singe für sie“, erzählt Peaches. Sie kann sich noch gut daran erinnern, wie Suri zum ersten Mal eines ihrer Konzerte besuchte. „Sie hob sich aus dem Rollstuhl und krabbelte mir entgegen. Dabei rief sie begeistert ‚Oh yeah! Oh yeah!‘ – und ich dachte: O mein Gott, ich hab dich so lieb!“

‚Free Drink Ticket‘ ist der vielleicht persönlichste Song, den ich je veröffentlicht habe

Auf ihrem neuen Album wagt Peaches es zum ersten Mal, private Erlebnisse in Songs zu verarbeiten. Das düstere „Free Drink Ticket“ handelt von der Trennung ihres langjährigen Partners – „es ist der vielleicht persönlichste Song, den ich je veröffentlicht habe“. Es ist auch eines der wütendsten Stücke, die Peaches je gemacht hat, wobei der aggressive Drive vor allem dadurch entsteht, dass man sie mal nicht schreien hört. „Fuck you, Chickenshit, du rückgratloser Feigling, du Lügner“, zischelt sie zu bedrohlich surrenden Bassläufen, die sie zusammen mit Vice Cooler von XBXRX fett und fies ausproduziert hat. „Ich will dabei sein, wenn du auf dem Boden aufschlägst, wenn dein Leben implodiert.“ Es ist die Abrechnung einer tief Verletzten im Stile von Kelis’ „Caught Out There“, „entstanden im Moment, wenn man die andere Person aus tiefstem Herzen hasst“.

Abrechnung mit der Feiersucht von Berlin

Zugleich ist der Song auch eine Abrechnung mit der hedonistischen Feiersucht einer Stadt wie Berlin, wo Peaches jahrelang lebte und wo sie auch heute noch eine Wohnung hat. Die oft als schrille Partyqueen missverstandene Musikerin musste hier immer wieder erleben, wie sich geliebte Menschen auf der Suche nach dem nächsten Kick von ihr entfremdeten. „Es gibt diese dunkle Seite des Nachtlebens, die dich verschluckt, dich hineinzieht in eine Welt aus Drogen und Paranoia. Und irgendwann bist du dann nur noch ein Zombie, der nach dem nächsten Gratisdrink lechzt.“

Bis auf „Free Drink Ticket“ und den Pop-Ausflug „Dumb Fuck“ hat sich Peaches auf „Rub“ nicht weit von ihrem Trademark-Sound entfernt – nur dass ihr heute besseres Equipment zur Verfügung steht, um den eruptiven, basslastigen Electro-Clash zu produzieren. „Bei ‚Teaches Of Peaches‘ habe ich mir solche Sounds gewünscht, jetzt
habe ich sie“, sagt sie begeistert. Ihre inhaltlichen Anliegen sind ebenfalls dieselben geblieben. Mit „Dick In The Air“ ist sogar ein Update des 2004 veröffentlichten „Shake Yer Dix“ vertreten. „Ich versuche immer noch, mir das vorzustellen. Wie kann man am besten seinen Schwanz in die Luft halten?“, fragt sie und geht dabei auf der Holzbank rücklings auf alle viere, um ihr Becken in ruckartigen Bewegungen auf und ab zu bewegen. „Wie kriegt man einen Typen dazu, das zu tun?“ In den vergangenen zehn Jahren hätten Frauen enorme Fortschritte in Sachen Emanzipation gemacht, erklärt sie. „Nur die Männer warten immer noch auf ihre sexuelle Revolution.“

Männer warten immer noch auf ihre sexuelle Revolution

Man kann ihr ewiges Kreisen um Sex öde finden oder zwanghaft. Man kann ihre feministische Haltung als zu brachial kritisieren oder sich fragen, ob die Popkultur wirklich noch eine Figur wie Peaches braucht, die mit Performancekunst auf Stereotypen herumreitet. Wenn es um die eng abgesteckten Regeln männlichen Rollenverhaltens im Pop geht, muss man ihr aber recht geben: Da hat sich wirklich so gut wie nichts getan. Justin Bieber und Drake knutschend bei den VMAs? Undenkbar. Bushido, der sich schlafend auf dem Schoß seiner Mutter fotografieren lässt? Morddrohung. Bis heute haben selbst die treusten Fans von Metallica es den Bandmitgliedern nicht verziehen, dass sie in der Dokumentation „Some Kind Of Monster“ offen über ihre Gefühle sprachen. Macht Mann einfach nicht.

„Wenn ich über Sex spreche, dann heißt das ja nicht, dass ich alle Welt vögeln will“, sagt Peaches. „Es geht mir um die grundsätzliche Haltung, um die Politik im Privaten. Ich will die Geschichte zum Guten hin verändern, verstehst du? Wir lähmen uns mit Angst, Angst ist ein bedeutender Teil unserer Geschichte, besonders im Sexleben. Warum haben Männer zum Beispiel so große Probleme mit ihren Ärschen? Es ist wirklich … dumm. Dabei ist der Anus ein Ort der Entdeckung, den beide Geschlechter teilen! Viele Männer drängen ihre Freundinnen zu Analsex und kommen nicht darauf, dass sie selbst Ärsche haben. Ich habe schon 2003 in ,Back It Up Boys‘ darüber gesungen, dass sich das für einen Kerl sogar noch besser anfühlt, wegen der erregbaren Pros-tata. Macht euch locker, Jungs!“ Dann schaltet sie wieder einen Gang herunter. „Es ist doch so: Zuerst muss jeder Mann Feminist werden. Erst wenn die Balance zwischen den Geschlechtern hergestellt ist, können wir uns als Menschen auf Augenhöhe begegnen.“

Erst wenn die Balance zwischen den Geschlechtern hergestellt ist, können wir uns auf Augenhöhe begegnen

Vor ihrer Pop-Karriere leitete Peaches zehn Jahre lang eine Kindertagesstätte. Wenn sie über ihre Botschaft spricht, merkt man, dass sie ihre Arbeit auch als Sexualerziehung für Erwachsene versteht, als Tanzmusik mit therapeutischem Zweck. „Ich spreche gern mit Männern über diese Dinge. Mit dem ROLLING STONE, einer auf
Heteromänner ausgerichteten Zeitschrift“, sagt sie. – Na, wir hatten eben erst Conchita Wurst auf dem Titelblatt! Ihre Antwort hat den ermutigenden Tonfall einer Erzieherin, und sie wiederholt sie zweimal, damit man sie auch ja richtig versteht: „Good for you! Good for you.“

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