Jonnysmirth, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons
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SPIEGEL ONLINE: Auf „As You Were“ zeigen Sie eine überraschend verletzliche Seite. In einem Song entschuldigen Sie sich sogar für die Fehler der Vergangenheit. Ist das erste Soloalbum ihrer Karriere auch gleichzeitig ein mildes Alterswerk?
Gallagher: Ich hatte diese sanfte Seite schon immer in mir. So muss es doch sein: Eine Handvoll Rock’n’Roll-Songs und obendrauf ein paar gefühlvolle Momente! Und die habe ich eben auch. Ich renne nicht jeden Tag auf die Straße und drohe den Leuten Prügel an: „Hey, willst du was auf die Fresse!?“ Ich bin ein guter Mensch, verstehen Sie?
SPIEGEL ONLINE: Eigentlich sollte das Album „Bold“ heißen, also „verwegen“ oder „kühn“. War das zu gewagt? Haben Sie der aktuellen Rockmusik doch nicht so viel Neues hinzuzufügen?
Gallagher: Ich will nichts hinzufügen, ich will zeigen, dass ich wieder da bin. Ich will, dass wieder Licht ins Dunkel fällt zwischen all der Scheiße da draußen, die meiner Meinung nach viel zu viel Aufmerksamkeit bekommt.
SPIEGEL ONLINE: An wen oder was denken Sie?
Gallagher: Ich nenne keine Namen. Es gibt einfach eine Menge Bands, die ihren Job nicht richtig machen. Die im einen Moment eine Rockband sind und im nächsten ein Dance-Projekt sein wollen. Und ich denke: Entscheidet euch mal, verdammte Scheiße! Diese Typen tragen ihre Gitarren um den Hals als wären es verdammte Schmuckstücke. Und dann kann man die Dinger in ihren Songs noch nicht einmal hören! Jetzt, wo ich zurück bin, werden sich die Leute an den echten Scheiß erinnern, the real deal, wenn Sie wissen, was ich meine.
SPIEGEL ONLINE: Stimmt es, dass Sie mit der Musik aufhören wollen, wenn „As You Were“ kein Erfolg wird?
Gallagher: Wenn das Album nicht gut ankommt, sehe ich keinen Grund, noch ein weiteres aufzunehmen. Ich werde wahrscheinlich noch weiter Songs schreiben, aber ich stelle mich dann nicht mehr vor die Leute hin und entblöße mich. Ich hoffe natürlich, dass das Album einigen Menschen etwas bedeutet. Aber ich weiß nicht, Mann, die Welt ändert sich. Und ich werde älter. Wenn die Leute mein Zeug nicht mehr wollen, gibt es keinen Grund, ihnen noch mehr davon in den Rachen zu stopfen.
SPIEGEL ONLINE: Sie könnten ja in Zukunft auch vor kleinerem Publikum auftreten.
Gallagher: Ich liebe es, aufzutreten. Aber ich will kein mittelmäßiger Typ in einer kleinen Band sein. Ich will, dass es groß wird, verdammt groß. Sonst macht die Sache keinen Sinn für mich.
SPIEGEL ONLINE: Sie begreifen sich also immer noch als Rockstar?
Gallagher: Ja natürlich! Immer. Ich bin ein Rock’n’Roll-Star. Rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag. Aber eines bin ich mit Sicherheit nicht: Ein Promi.
SPIEGEL ONLINE: Für viele Menschen ist das ein- und dasselbe…
Gallagher: Für mich nicht. Ich gehe nicht auf Preisverleihungen. Ich hänge nicht mit Celebrities rum. Ich spreche nicht mit Promi-Magazinen. Ich gehe nicht in Trend-Bars. Ich habe meine Missus, die mich managt, und wir machen unser Ding. Wir müssen nicht mit Bono abhängen, mit Springsteen oder irgendwelchen verdammten Scheiß-Schauspielern…
SPIEGEL ONLINE: Denken Sie dabei auch an ihren Bruder Noel? Auf Twitter haben sie ihm vorgeworfen, er sei ein „Verräter der Arbeiterklasse“.
Gallagher: Noel lebt heute in einer völlig anderen Welt als ich. Er umgibt sich gerne mit der Schickeria, während ich immer noch ein Kind der Straße bin. Er ist nur noch von Ja-Sagern umgeben. Diese Leute haben ihm die Kanten abgeschliffen. Er ist hochnäsig geworden. Wenn dein Ego ständig von Arschkriechern gestreichelt wird, vergisst du dich irgendwann selbst. Noel verwandelt sich gerade in eine Art Bono. Ich würde ihn da gerne rausholen. Ich vermisse den alten Noel.
SPIEGEL ONLINE: Wann haben Sie das letzte Mal miteinander gesprochen?
Gallagher: Mal sehen… 2009 haben wir uns aufgelöst. 2011 habe ich ihn bei einem Fußballspiel getroffen und ihm in die Brustwarzen gezwickt. Er trug diesen auberginefarbenen Pullover, der überhaupt nicht zu seinen ausgebleichten Jeans passte, und ich fragte: „Was ist nur los mit dir, Mann?“
SPIEGEL ONLINE: Auf der einen Seite machen Sie sich ständig über ihren Bruder lustig, auf der anderen Seite klingt es so, als wäre die Vergangenheit mit ihm und Oasis noch immer heilig für Sie.
Gallagher: Ich bin immer noch sauer, dass er Oasis aufgelöst hat und mir die Schuld dafür in die Schuhe schiebt. Aber ich sitze nicht mit einer Oasis-Platte in der Hand zu Hause rum und heule: Bitte komm zurück, Noel! Aber er soll wissen, dass ich für ihn da bin. Ich will ja nicht, dass ihm was passiert.
SPIEGEL ONLINE: Sie wären jederzeit bereit, mit ihm zusammen Oasis zu reanimieren?
Gallagher: Klar. Ich würde jetzt lieber hier sitzen und über ein neues Oasis-Album sprechen. Ein Soloalbum aufzunehmen war nie ein Traum von mir, fuck no! Bandalben sind viel besser. Es gibt schon viel zu viele Solo-Platten, und einige davon sind verantwortlich dafür, dass fantastische Bands sich aufgelöst haben. Weil irgendwelche Typen sich einbildeten, sie müssten jetzt allein Karriere machen.
SPIEGEL ONLINE: Denken sie bei einer Oasis-Reunion vor allem an Konzerte oder auch an ein neues Album?
Gallagher: Beides. Ich würde gerne wieder mit Oasis auf der Bühne stehen. Und ich würde gerne wieder neue Musik aufnehmen. Ich glaube, wir haben noch einige großartige Alben in uns. Und wir würden großartige Interviews geben. Die Interviews waren bei Oasis fast so wichtig wie die Musik. Noel war da nie so scharf drauf. Aber ich vermisse unsere Interviews. Das war Comedy. Wir waren lustige Wichser, Mann!
SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, die Welt wartet auf eine Rückkehr von Oasis?
Gallagher: Offenbar ist Rock’n’Roll gerade nicht besonders angesagt. Ich verstehe, warum die Leute mich ständig nach Oasis fragen. Schließlich gibt es nur noch Scheiße da draußen, seitdem wir uns aufgelöst haben. Na ja, es gab schon gute Musik ab und zu, aber es gab keine Rockstars mehr, keine Persönlichkeiten. Die Bands spielen ihre Konzerte, holen ihren Scheck ab. Man stelle sich vor, Keith Moon wäre einfach auf die Bühne gegangen, um zu trommeln und danach nach Hause gegangen! Dann wären The Who nicht The Who gewesen. Die Rockmusik braucht echte Charaktere. Und die Bands von heute haben keine. In Interviews sagen sie genau, was man von ihnen erwartet, weil sie Angst haben, ihre Karriere zu gefährden.
SPIEGEL ONLINE: Es heißt, dass Sie selbst mittlerweile jeden Morgen joggen gehen und abends spätestens um zehn im Bett sind…
Gallagher: Wenn du 20 bist, nimmst du es mit allem und jedem auf. Aber wenn du älter wirst, ermüdet dich das einfach. Ich bin jetzt 45. Ich kann immer noch Party machen, aber ich weiß auch, wann ich ins Bett sollte. Ganz im Gegensatz zu früher, wo ich manchmal drei Tage am Stück wach war. Ich hab‘ getan, was ich tun musste, aber für so eine Scheiße bin ich heute zu alt. Ich weiß, wann die Party vorüber ist.
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