Vergiss Berlin, flieg nach Bali
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Wie eine Mischung aus archaischem Zeremonienmeister und Keith Flint von Prodigy schlägt sich Ican Harem im Takt der hyperschnellen Techno-Beats mit dem Mikrofon auf die Oberschenkel, während sein selbst gebastelter Kopfschmuck stromstoßartig zu den hypnotischen Skalen der Musik zuckt. Im Stroboskop-Licht pulsiert die Menge vor ihm wie in Zeitlupe. Junge Männer headbangen mit Motorradhelmen auf den Köpfen. Frauen verdrehen die Augen, bis man nur noch das Weiße sieht. Andere schlängeln die Arme durch die Luft als folgten sie unsichtbaren Energielinien. Die Szenerie wirkt futuristisch, endzeitlich, in ihrer verschlungenen Ekstase aber auch, als sei sie einem uralten Tempelfries entsprungen.
Wir Europäer halten unsere Clubkultur gerne für progressiv und zwanglos. Eine Show des indonesischen DJ-Duos Gabber Modus Operandi kann eine echte Ernüchterung sein. „Wir wollen Dance-Musik machen, die uns nahesteht, die modern ist, und dennoch aus der Kultur unserer Heimat schöpft“, erzählt Kasyim, der musikalische Kopf von Gabber Modus Operandi in einem kleinen Restaurant am Rande der balinesischen Stadt Ubud.Die Touristeninsel ist die Heimat von Gabber Modus Operandi. Nicht gerade ein Ort für Avantgardisten wie sie. Für einen experimentellen Underground sei zwischen den allgegenwärtigen Strandcocktail-Parties und Backpacker-Bars ihrer Heimat kein Platz, bestätigt Harem, der übernächtigt hinter seiner Sonnenbrille hervor blinzelt. „Hier ist Kultur vor allem ein Wirtschaftsgut.“
„Jeder Club auf Bali wird von irgendeinem weißen Typen geleitet“, pflichtet Kasyim bei. „Das hat fast schon was von Kolonialisierung, tut mir leid“.
Obwohl die beiden ihr Projekt erst 2017 gegründet haben, ist ihr Ruf längst im globalen Techno-Underground angekommen. Schon zweimal spielte das Duo im Berghain, dieses Jahr werden sie unter anderem auf dem CTM-Festival in Berlin und auf dem Primavera-Sound-Festival in Barcelona auftreten. Balinesisch sanfte Wellness-Beats oder Gong-Bäder aus dem Tempel darf man bei Gabber Modus Operandi aber nicht erwarten. Weltmusik-Klischees zu bedienen, ist das Letzte, was sie wollen. „Du kannst Techno oder House machen und traditionelle Musik wie Gamelan in Form von Samples darauf stülpen. Das ergibt dann Ethnic Dance Music. Wir wollen aber kein Kultur-Remix sein. Wir wollen etwas Neues erschaffen“, sagt Kasyim.
Barongs Rache
Ihre Musik ist ein akustischer Höllenritt, der die repetitiven Skalen von Gamelan auf synthetische Rave-Sounds überträgt. Das Grundgerüst besteht, wie der Bandname vermuten lässt, aus nach vorne preschenden, sich fast überschlagenden Gabber-Beats, jenem hyperschnellen Thunderdome-Techno, der in den frühen Neunzigern vor allem in den Niederlanden eine große Anhängerschaft hatte.
Dass die Holländer Indonesien einst als Kolonialmacht unterwarfen, ist eine historische Spitze, mit deren Umkehrung Gabber Modus Operandi bewusst spielen. Die indonesische Underground-Kultur sei heute entweder in der Hand von Ausländern oder von Leuten, die im Ausland studiert haben, erklärt Kasyim. „Sie kommen zurück und sprechen von der „wahren House-Musik“, der „wahren Clubkultur“. Dabei sind sie nur eine weitere Kopie irgendeines westlichen Acts. Ich denke, es ist wichtiger, zu sehen, was um dich herum passiert – und diese Dinge dann zusammenzubringen.“
Auch die rauschhaften Live-Shows von GMO sind eine auf den Zeitgeist zugeschnittene Hommage an die Kulturtraditionen ihres Heimatlandes. Vor allem den javanischen Trance-Tanz Jathilan, bei dem die Geister von Tieren in die Tänzer fahren sollen, nennen die beiden als Haupteinfluss. Eindrucksvoll sehen kann man das Ritual im Musikvideo zum Track „Dosar Besar“, das Harem und Kasiym aus Smartphone-Videos aus dem Netz zusammengeschnitten haben.
Dort kriechen junge Jathilan-Amateurtänzer mit teuflisch verzerrten Grimassen über den Boden, fletschen die Zähne oder schlagen mit imaginären Flügeln um sich. Harem, der in der streng muslimischen und seit 2005 nach Scharia-Gesetz regierten Provinz Aceh aufwuchs, erinnert sich, wie der Brauch ihn schon als Kind fasziniert hat. „Weil er so nah an animistischen Volksreligionen dran ist, war der Tanz in muslimischen Familien wie meiner verboten. Als Kinder waren wir jedoch besessen davon. Auch wenn wir die Trance nicht wirklich fühlten, spielten wir das Ganze heimlich nach und taten zum Beispiel so, als hätte ein Tiger Besitz von uns Besitz ergriffen.“
Kasyim, der in Indonesiens Hauptstadt Jakarta aufwuchs, erklärt, Jathilan sei für ihn so etwas wie „Proto-Rave“: „Menschen aller Schichten kommen zusammen und geraten zu repetitiver Musik in Verzückung.“ Gleichzeitig habe es aber auch was von Punk, sagt er. „Die Tänze finden oft in irgendeinem Hinterhof statt. Es gibt keine Gästeliste, oft tragen die Leute nicht einmal Schuhe. Sie sind cool, weil sie nichts auf Coolness geben. Sie pushen die Limits und improvisieren einfach. Als Club-Kids, die mit so vielen Konventionen zu kämpfen haben, sind wir eifersüchtig auf sie.“ Es ist die „raue animalische Energie“ solcher in den Alltag eingegangenen Überlieferungen, die Gabber Modus Operandi auf ihre Konzerte übertragen wollen.
Manchmal holen sie sich dafür sogar traditionell ausgebildete Tänzer auf die Bühne, die zum Beispiel den bei Bali-Touristen beliebten Barongtanz aufführen. Das Kostüm des Barong, eines mystischen Geisterkönigs aus der balinesischen Mythologie, ist bei Gabber Modus Operandi aber nicht aus traditionellen Materialien wie Holz und Pferdehaar gefertigt, sondern aus Kabeln und Motorradteilen zusammengelötet. Rot blinkende Scheinwerfer bilden den Löwenkopf der Zwei-Meter-Bestie, während ihre Flanken aus aerodynamischen, neonbunten Kotflügeln zusammengesetzt sind.
„Jede Show ist ein offener Raum, an dem Sachen passieren können“, sagt Harem, der die Kostüme selbst zusammenbastelt. Abseits der Bühne arbeitet er als Fashion-Designer. In seinen eigenen Kollektionen vernäht er schwere Motorradjacken mit T-Shirts obskurer Metalbands zu Oversized-Modellen, eine seltsam hippe Mischung aus sportlich und morbide, die er dieses Jahr auch bei der Fashion Week in Paris vorgestellt hat. Die Suche nach einer eigenen Sprache und die Verweigerungshaltung für globale Trends kann man als Vorboten lesen, dass sich die Subkultur in Asien langsam vom Westen emanzipiert. Dafür spricht auch die Tatsache, dass Gabber Modus Operandi trotz Angeboten aus Europa einen Vertrag beim chinesischen Label Svbkvlt unterschrieben haben – unter Kennern eine der heißesten Adressen für futuristische elektronische Musik. „Das Schöne an China ist, dass die Künstler sich dort nicht so sehr anbiedern“, sagt Kasyim. „Den meisten ist egal, was gerade in Berlin abgeht. Sie machen, was sie machen wollen. Deshalb arbeiten wir gerne mit ihnen zusammen“.
Mit dem chinesischen Kunstkollektiv Asian Dope Boys inszenierten die beiden bereits am Hamburger Kampnagel eine Trance-Performance und traten bereits auf der Documenta auf. „Es ist auch schön mit Musikern zusammen auf Tour zu gehen, mit denen man sich in Europa auf die Suche nach Reis machen kann“, sagt der Produzent und grinst schelmisch. „Wir Asiaten müssen Reis essen, so ist das nun mal.“