Schwierige Zeiten für LGBTQ-Personen

In den vergangenen Jahren mussten in China immer mehr Organisationen schließen, die sich für die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft einsetzen. Die Partei propagiert klassische Rollenbilder. Dabei waren Menschen, die sich abseits der Geschlechternormen bewegen, noch nie so sichtbar wie heute.

Mit der Schließung des Beijing LGBT Center am 15. Mai verschwand der wohl wichtigste und landesweit bekannteste Safe Space für Menschen in China, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich und queer identifizieren. Das 2008 gegründete Zentrum hatte sich für ihre Rechte eingesetzt und Unterstützung angeboten, etwa bei Fragen zur physischen und mentalen Gesundheit, Diskriminierung und Rechten.

Die Arbeit zivilgesellschaftlicher Gruppen insgesamt, und LGBTQ-freundlicher Organisationen im Besonderen, ist in China in den vergangenen zehn Jahren immer schwieriger geworden. Schon 2021 wurde die Gruppe LGBT Rights Advocacy China aufgelöst, die sich vor Gericht für Homosexuelle eingesetzt hatte. Im selben Jahr wurden fast 20 WeChat-Konten von LGBTQ- und Gender-Studiengruppen geschlossen.

Feindliches Umfeld für LGBTQ-Organisationen

Queere Dating-Apps und andere Gruppen in den sozialen Netzwerken verschwanden. Zum Teil wurden sie Opfer des sogenannten „Shadow Banning“, durch das sie von reichweitenstarken Zielgruppen abgeschnitten werden. Formal sanktioniert wird das Vorgehen durch Pekings Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen. Seit Anfang 2017 gilt in der Volksrepublik das NGO-Gesetz, das die Gruppen in ihrer Arbeit stark beschränkt.

Die Kommunistische Partei duldet immer weniger Organisationen neben sich. Dabei erfüllten die Gruppen in der Wahrnehmung der Betroffenen eine wichtige Funktion. Das Beijing LGBT Center hatte beispielsweise eine Hotline für Selbstmordgefährdete eingerichtet. Daneben hatte sich das Zentrum für eine größere Sichtbarkeit der Community in der chinesischen Gesellschaft stark gemacht. 2016 führte es etwa die größte jemals durchgeführte Umfrage zu Fragen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in China durch. Mehrmals waren chinesische Universitäten an den Forschungen des Zentrums beteiligt.

Die Unterdrückten verlieren ihr Zuhause

Als offiziellen Grund für die Schließung des LGBT Center nannten die Verantwortlichen dort „unvorhersehbare Umstände“ und „höhere Gewalt“. Ihre Diskretion ist vermutlich staatlichem Druck geschuldet. Der Filmemacher Popo Fan, der das Zentrum mit aufgebaut hat und zeitweilig Vorstandsmitglied war, schreibt auf seiner Facebook-Seite: „Dies ist nicht nur ein großer Verlust für die LGBT-Kultur und die Zivilgesellschaft in China, sondern bedeutet auch, dass viele der Unterdrückten ihr Zuhause verloren haben.“

Bis heute wurde nicht öffentlich bekannt, ob das Zentrum auf Druck von oben schließen musste. Mitglieder des Zentrums berichteten der Deutschen Welle jedoch, dass sie häufig von der Polizei verhört und schikaniert worden waren.

Die Regierung ist tendenziell gegen LGBT-Rechte

Wer sich jetzt noch engagiert, lebt gefährlich. „Es ist sehr riskant, heute in China Veranstaltungen wie eine Pride Parade abzuhalten. Die Regierung könnte so etwas schnell als politischen Protest einstufen, was Freiheitsstrafen für die Organisatoren nach sich ziehen kann“, erklärt Monika Ke im Gespräch mit Table.Media (Name geändert).

Die Journalistin und trans* Frau hat sich besonders mit der Repräsentation von LGBTQ in chinesischen Sozialmedien befasst. „Einerseits haben Personen abseits heteronormativer Rollenbilder dort mehr Sichtbarkeit denn je. Andererseits werden klassische Rollenbilder und Familienwerte verherrlicht.“ Ke sieht durchaus eine unrühmliche Rolle der Regierung. „Konservative Anti-LGBTQ-Aktivisten kontrollieren diese Narrative genau.“

Diskriminierung am Arbeitsplatz

Homosexualität wurde in der Volksrepublik 1997 offiziell entkriminalisiert. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist in der patriarchalisch geprägten Gesellschaft aber nach wie vor verboten, sexuelle Orientierungen jenseits des Mainstreams im Alltag oft mit Tabus belegt. Auch am Arbeitsplatz ist Diskriminierung keine Seltenheit, wie Ke berichtet. „Das offizielle Framing lautet, dass es in China keine Verfolgung und Unterdrückung von LBGTQ-Personen gibt, dass sie laut der Verfassung Menschen wie alle anderen seien, und demzufolge ein Gesetz, das ihre Diskriminierung ahndet, nicht nötig sei. Aber so einfach ist es natürlich nicht.“

Ke spricht aus Erfahrung. Auch sie erlebte Diskriminierung am Arbeitsplatz und wurde schlussendlich aus der Firma gedrängt, ohne sich wirklich dagegen wehren zu können.

Die Partei will mehr traditionelle Ehen

Ein Grund, warum der Staat zuletzt stärker gegen LGBTQ-Gruppen vorging, dürfte auch mit der Überalterung der chinesischen Gesellschaft zu tun haben, der die Regierung entgegenzuwirken versucht, indem sie klassische Familien- und Geschlechterrollen propagiert. Der Diskurs in den USA und Europa wird dabei auch von den chinesischen Staatsmedien genutzt, um die Diskussion in China in bestimmte Richtungen zu lenken, glaubt Ke. „Die Frage mit den öffentlichen Toiletten wird auch in China heiß diskutiert oder J.K. Rowling zu einer Art Anti-Transgender-Ikone hochstilisiert, die Opfer einer Hexenjagd wurde.“

Gleichzeitig würden viele Konservative versuchen, LGBTQ-Themen als Verschwörung ausländischer Kräfte oder Auswüchse des Kapitalismus darzustellen, die Chinas nationale Interessen angreifen. Dabei sei die chinesische Öffentlichkeit insgesamt toleranter geworden, sagt Ke. Viele jungen Menschen sehen sich als Allies – Verbündete – der Community.

Im Jahr 2018 wurde ein Versuch, LGBTQ-Inhalte auf Weibo zu verbieten, durch einen kollektiven Online-Aufschrei gestoppt. „Gleichzeitig sind die Hasskommentare heftiger denn je“, sagt Ke. „Die Gesellschaft scheint in Bezug auf LGBTQ-Themen zunehmend polarisiert zu sein, und natürlich gewinnen die Konservativen in den chinesischen sozialen Medien mehr Macht als die Progressiven. Das wird sich in naher Zukunft nicht ändern.“

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